90 Jahre Pils und Pannfisch
St. Georg Die urige Kneipe ist jeden Tag voll – auch dank Kult-Kellner Harald Vitense
„Bierstube Nagel“am Hauptbahnhof feiert Jubiläum
Hier schmeckt der Pannfisch herzhaft-deftig und so sind auch die Sprüche von Kellner-Legende Harald Vitense (65): 30 Jahre arbeitet er schon in der „Bierstube Nagel“– diese waschechte Hamburger Traditionskneipe feiert jetzt 90-jähriges Bestehen am Hauptbahnhof.
Doch eigentlich ist Nagel älter, viel älter. Schon 1848 gründete Albertus Friedrich Nagel die Weinhandlung A.F. Nagel. Das Gewuchs, schäft 1929 gab es an der Steinstraße ein 2500 Quadratmeter großes Lager.
Im Angebot waren allein 140 selbst destillierte Spirituosensorten. Noch heute wird bei Nagel ein eigens für das Lokal gebrannter Korn ausgeschenkt. 1934 zählt die Firma neben der Gaststätte an der Kirchenallee sechs weitere „Filialen“unter anderem am Steindamm, der Schanzenstraße und der Reeperbahn. Doch nach dem Krieg kann nur das 1926 im „Klockmann-Haus“an der Kirchenallee eröffnete Nagel weiterbestehen.
Bis 1997 gibt es wechselnde Betreiber. Dann übernimmt Familie Wörlein, seitdem ist
der Laden jeden Tag voll. Das liegt sicher auch an Harald Vitense – eine echt stattliche Erscheinung mit einem „Kaiser-Franz-Joseph-Bart“: „Der wird jeden Tag liebevoll gewaschen, zwei Mal die Woche gestutzt und mit Bartöl gepflegt“, so der Kellner.
Der 65-Jährige hat ein Herz für Gestrandete. Und davon gibt es viele in St. Georg. So wie den Gast, der ihn morgens fragte, wo er denn sei. Auf die Antwort: „Bei Nagel“entgegnete der: „Nein, ich mein’ in welcher Stadt?“Ein anderer Gast verwechden selte mal Niedergang zur U-Bahn mit der Treppe zum Klo und meckerte: „Wo sind denn die Fahrkartenautomaten?“Alle hat Harald Vitense mit seinem grundgütiGemüt gen wieder auf den rechten Weg gebracht. Nach einer Koch-Lehre im Berliner Hilton war der Lüzufällig becker eher im Nagel gelandet. „Ich sollte nur einen Tag bei der Inventur aushelfen, doch dann kam der dicke Kellner Siggi, versperrte mir im engen Lager den Weg und sagte: ,Du fängst hier an!‘“Aus dem einen Tag sind inzwischen 30 Jahre geworden. Vitense: „Das hier ist meine Berufung. Tolle Leute, toller Laden.“ Vor ein paar Jahren wurde Nagel renoviert. Schön weiß und neu wollte es der Vermieter. Doch die BetreiberFamilie konnte sich durchsetzen und die Patina blieb: Die vergilbten Fotos an den Wänden, die 14-flammigen Kronleuchter und die putzigen „Séparées“mit Kleiderhaken aus Messing. Und Harald Vitense? Der
war neulich bei der Rentenberatung und fühlte sich unter den „alten Leuten“gar nicht wohl: „Ich musste da ganz schnell raus und wieder ins Nagel!“Und da bleibt er der Kult-Kellner – bis er tot umfällt mit dem Tablett in der Hand!