Hamburger Morgenpost

Der gefallene Absturzkne­ipe

St. Pauli Verkauft, gedemütigt, geschlagen: Engelina (39) lebt im „Elbschloss­keller“– und erzählt ihre traurige Lebensgesc­hichte

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Von ANASTASIA IKSANOV und VOLKER SCHIMKUS

Sie wurde vom eigenen Vater verkauft, von Männern gedemütigt, geschlagen. Heute hat Engelina „Engie“(39) aus Litauen kein Zuhause mehr, hält sich die meiste Zeit im „Elbschloss­keller“am Hamburger Berg auf. Der MOPO erzählt sie ihre traurige Geschichte. Wie sie nach Deutschlan­d kam, ein Kind gebar und schließlic­h in der Gosse landete.

„Wenn sie tanzt, ist sie woanders.“Engie steht allein auf der Tanzfläche des „Elbschloss­kellers“, schließt die Augen. Aus der Jukebox dröhnt eine Ballade. Wie eine zarte Blume im Wind beginnt die zierliche Frau, sich dazu zu bewegen.

„Wenn ich die Augen schließe, denke ich an die schönen Momente mit meiner Tochter“, sagt Engie. „Sie ist ein Teil meines Herzens. Aber man hat sie mir weggenomme­n.“Seit vier Monaten hat die Frau ihr Kind (4) nicht mehr gesehen. „Jeden Tag sterbe ich mehr und mehr“, sagt sie.

Das Kind lebt beim Vater. Und dieser hat bereits alles in die Wege geleitet, damit Engie sich von dem Mädchen fernhält. „Ich will auch nicht, dass sie mich in diesem Zustand sieht. Zudem darf ich sie vom Jugendamt nur zu mir nehmen oder alleine Zeit mit ihr verbringen, wenn ich ein sicheres Umfeld habe.“Sprich: eine Wohnung. „Egal, was ich tue, ich kriege keine. Ich will wieder ein normales geregeltes Leben führen. Ich brauche Hilfe.“

Gewalt, Enttäuschu­ngen, Isolation: Engie fällt es sichtlich schwer, über das Leid zu sprechen, das sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht. Und schließlic­h zu einer Trinkerin machte. Sie stürzt den Alkohol jedoch nicht in sich hinein, sondern hält den Pegel. Man könnte sogar meinen, dass sie nüchtern sei. „Ich vertrage den Alkohol nur, weil ich so viel innerliche­n Stress habe“, sagt sie.

Engie wird in der Memel geboren und wächst auf einem Bauernhof bei ihrer Oma auf. „Meine Mutter hat mich als Baby weggegeben, ich habe sie in meinem Leben nur ein Mal zu Gesicht bekommen.“Auch der Vater kümmert sich nicht um sein Kind. Vielmehr kommt er mit seinen Brüdern zum Saufen auf den Bauernhof und behandelt Engie wie eine Bedienstet­e.

Doch es kommt schlimmer: Mit 17 Jahren wird Engie von drei Männern vergewalti­gt und mit dem Messer verletzt. „Als mein Vater mich im Krankenhau­s besuchte, sagte er, ich sei eine Schwänzeri­n. Ich hätte zu Hause Arbeiten zu erledigen.“Nach diesem Erlebnis beginnt Engie zu rauchen und zu trinken.

Als Engie 21 Jahre ist, sieht der Vater in ihr eine Geldquelle. Drei „Geschäftsm­änner“zahlen ihm umgerechne­t 10000 Euro und schicken die junge Frau nach Deutschlan­d zum Anschaffen. „Ein Stammkunde hatte erst Mitleid mit mir. Er kaufte mich frei und heiratete mich, damit ich hierbleibe­n kann“, sagt Engie. Die Ehe zerbricht an Untreue und Respektlos­igkeit. Engie arbeitet in Bars, trinkt. Verbringt viel Zeit im „Elbschloss­keller“. Sie gerät immer wieder an Männer, die sie schlagen und unterdrück­en. Mit dem letzten zeugt sie ein Kind. 2015 arbeitet sie an der Essensausg­abe im Containerd­orf für Flüchtling­e an der Schnackenb­urgallee.

Plötzlich geht’s ihr immer schlechter und schlechter, sie nimmt stark ab. Die erschrecke­nde Diagnose: offene Tuberkulos­e. Auch das Kind hat sich angesteckt.

Nach der Entlassung aus der Isolation hängt der Haussegen schief. „Geh doch in deinen ,Elbschloss­keller‘“, hört sie von ihrem Lebensgefä­hrten. Das tut sie schließlic­h. Seit Juli vergangene­n Jahres ist sie hier ständig. „Hier habe ich Freunde, die für mich Wäsche machen und mich mal bei ihnen zu Hause übernachte­n lassen“, sagt sie. Wie sie einen Weg findet, ihre Tochter wiederzuse­hen, weiß sie nicht. „Ich habe einfach keine Idee mehr“, sagt sie und weint.

„Jeden Tag sterbe ich mehr und mehr.“Engie (39)

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So berichtete die MOPO am vergangene­n Donnerstag.
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