Hamburger Morgenpost

Der Kampf um die Straße

Immer mehr Obdachlose in Hamburg, immer mehr Probleme: Woher die Bettler kommen, wie die Stadt gegen sie vorgeht

- Von SANDRA SCHÄFER und FREDERIKE ARNS

Eingemumme­lt in Schlafsäck­e liegen die Männer auf ihren Isomatten. Neben ihnen stapeln sich Taschen, volle Plastiktüt­en, Flaschen. Dieses Bild sehen Pendler morgens an vielen Ecken in der City, wenn sie aus dem Hauptbahnh­of zu ihren Büros strömen. In Zukunft sollen die Obdachlose­n hier durch einen Weckdienst um 6.30 Uhr verscheuch­t werden. Denn in Hamburg gibt es immer mehr Obdachlose – und das sorgt für Konflikte: mit der Stadt, aber auch untereinan­der.

Die Obdachlose­n in der Innenstadt sind nur die Spitze des Eisbergs. Tatsächlic­h geht die Sozialbehö­rde von etwa 2000 Wohnungslo­sen in Hamburg aus. Eine Zahl, die sich innerhalb der vergangene­n zehn Jahre verdoppelt hat. Zum einen gibt es durch die Wohnungsno­t mehr deutsche Obdachlose. Zum anderen kommen durch die EU-Osterweite­rung Polen, Rumänen, Bulgaren und Slowaken hinzu. So wie Oliver. Der 40Jährige war in der Slowakei arbeitslos, jetzt versucht er hier sein Glück. Er sitzt mit einem Schild in der Mönckeberg­straße und hofft auf Kleingeld – wie so viele andere. „Wenn das Wetter nun besser wird, kommen immer mehr“, sagt Michael Gündel (42), Kellner in einem nahen Café. Er beobachtet ehrliche Bettler, aber auch viele Trickser und Täuscher, die nur so tun, als könnten sie nicht richtig gehen. „Die Passanten, die ihnen Geld geben, sind oft sehr leichtgläu­big. Das nimmt

„Ins Notprogram­m gehe ich nicht, da gibt’s nur Ärger.“Frank (41)

teilweise richtig mafiöse Zustände an in der Szene.“

Raphael (30), selbst Obdachlose­r aus Österreich, weiß schon, was passiert, wenn Ende März das Winternotp­rogramm ausläuft. „Dann gibt es hier in der Innenstadt noch mehr Stress: Prügeleien, Diebstähle – dann müssen wir auf unseren Sachen schlafen.“

Streit um Schlafplät­ze, um die besten Bettel-Orte und auch Spenden: Vor allem Rumänen und Bulgaren, sagen viele Obdachlose, würden für Probleme sorgen. Frank (41), einst Geschäftsf­ührer und jetzt Obdachlose­r, ist richtig sauer: „Manche schmeißen sogar das Essen weg, das sie an Ausgabeste­llen erhalten. Keine Ahnung, was in denen vorgeht. Ins Winternotp­rogramm gehe ich nicht mehr, da gibt es nur Ärger.“ Abgerissen­e Kleider, Einkaufswa­gen oder Plastiktüt­en und Pulle in der Hand – dieses Klischeebi­ld vom Obdachlose­n trifft aber nur auf eine kleine auffällige Gruppe zu. Denn die meisten Obdachlose­n sind auf den ersten Blick gar nicht als solche zu erkennen. Es gibt auch wohnungslo­se Tagelöhner – etwa aus Rumänien und Bulgarien, die täglich zur Arbeit gehen. Doch die Arbeitsver­hältnisse sind teils so ausbeuteri­sch, dass sie in ihren Autos schlafen. Für mehr reicht das Geld nicht.

Andere dürfen in Gruppenzim­mern auf den Werksgelän­den ihrer Arbeitgebe­r übernachte­n. Wenn sie den Job verlieren, sind sie von einem Tag auf den nächsten obdachlos. Andere versuchen, sich mit Betteln oder Straßenmus­ik durchzusch­lagen.

Und es gibt natürlich auch die Männer, die seit Jahren Platte machen, die schwer alkoholkra­nk sind und die auf der Straße zu sterben drohen. Streetwork­er bezeichnen sie als die Gruppe, der „nur noch palliativ zu helfen ist“.

Im „Cafée mit Herz“auf St. Pauli (beim Hotel Hafen Hamburg) können Obdachlose kostenlos frühstücke­n und eine warme Mittagsmah­lzeit essen. Dort stehen viele Männer und einige Frauen gedul

dig Schlange. Es geht gesittet zu, niemand ist offensicht­lich betrunken. Viele haben Rucksäcke und sogar Rollkoffer mit ihrem gesamten Hab und Gut dabei.

Mittlerwei­le werden in der rein spendenfin­anzierten Einrichtun­g jeden Tag 300 Obdachlose verpflegt. Drei Viertel von ihnen sind in Hamburg gestrandet, sie kommen aus Polen, Rumänien und Bulgarien. Versorgt werden sie größtentei­ls von Ehrenamtli­chen.

Die gute Seele des Hauses ist Margot Lenz (65). Sie leitet das Haus, das kein Geld von der Stadt bekommt. „Als ich vor zehn Jahren hier anfing, haben wir pro Jahr 24 000 Essen ausgegeben, jetzt sind es 100000“, sagt die resolute Frau. Das Vierfache innerhalb weniger Jahre.

Auch die Zusammense­tzung der Bedürftige­n habe sich seitdem stark verändert. „Damals waren es vor allem Deutsche, nur ein Viertel waren Ausländer. Jetzt ist es genau andersheru­m.“Die meisten Gäste kommen aus Polen. Ein Teil von ihnen war dort bereits obdachlos und hat Alkohol-Probleme.

Alle Schützling­e des Cafée mit Herz sind völlig mittellos, haben keinen Anspruch auf staatliche Hilfen und nicht einmal eine medizinisc­he Versorgung. Daher gibt es immer mittwochs eine kostenlose Sprechstun­de bei Niels-Peter Homann. Der Arzt aus Finkenwerd­er übernimmt das ehrenamtli­ch. Er muss Platzwunde­n behandeln, offene Beine. „Und manchmal sieht man nackte Knochen am Fuß.“Es gibt auch herzkranke Patienten, die Medikament­e brauchen, und Diabetiker, denen das Insulin fehlt.

Damit beim Cafeé mit Herz alles rundläuft, sind viele Ehrenamtli­che im Einsatz. So wie „Locke“, der in der Küche hilft und selbst einmal als Obdachlose­r hier zum Essen kam. Mittlerwei­le hat er wieder eine Wohnung.

Die Hilfsberei­tschaft in Hamburg ist immer noch groß, wie etwa der Gabenzaun am Hauptbahnh­of beweist. Dort werden an einem Absperrzau­n, der eigentlich verhindern soll, dass sich Obdachlose hinsetzen, Kleiderspe­nden und Hygieneart­ikel in Beuteln für Bedürftige aufgehängt. Die Begeisteru­ng der Bahn und des Bezirks Mitte für diese unbürokrat­ische Hilfe hält sich sehr in Grenzen. Denn auf der anderen Seite beschweren sich Geschäftsl­eute und Pendler zunehmend, weil sie sich durch Obdachlose belästigt fühlen, insbesonde­re durch aggressive Bettler und Straßenmus­iker. Deshalb kündigt Bezirksamt­sleiter Falko Droßmann (SPD) seit Monaten immer neue Maßnahmen an, die es den Obdachlose­n in der City ungemütlic­h machen sollen.

Aus Sicht der Sozialverb­ände ist auch die Politik schuld daran, dass in diesem Winter noch mehr Menschen in Geschäftse­ingängen, unter Brücken und in Parks schlafen. Denn erstmals seit Bestehen des Winternotp­rogramms wird dort der Zugang kontrollie­rt. Viele Osteuropäe­r dürfen nicht mehr hinein. Stephan Nagel, Referent für Wohnungslo­senhilfe bei der Diakonie: „Menschen wurden dadurch aus dem Winternotp­rogramm herausgedr­ängt.“

Trotzdem sind die 850 Schlafplät­ze im Winternotp­rogramm zu 90 Prozent belegt (vor fünf Jahren gab es nicht einmal 200 Plätze). Laut Sozialbehö­rde haben Mitarbeite­r dort mit fast 900 Personen gesprochen und ihnen die Rückkehr in ihre Heimatländ­er nahegelegt. Das Ergebnis: Ein Drittel von ihnen hat eine Fahrkarte akzeptiert und Hamburg den Rücken gekehrt.

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Ein gewohntes Bild in der Innenstadt: Bettler, die mit Pappbecher­n und Schildern um Kleingeld bitten.
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 ??  ?? Margot Lenz (65) ist die gute Seele vom Cafeé mit Herz. Die Einrichtun­g finanziert sich nur über Spenden und arbeitet mit vielen ehrenamtli­chen Helfern. Im Haus auf St. Pauli werden jedes Jahr 100 000 Essen für Bedürftige gekocht.
Margot Lenz (65) ist die gute Seele vom Cafeé mit Herz. Die Einrichtun­g finanziert sich nur über Spenden und arbeitet mit vielen ehrenamtli­chen Helfern. Im Haus auf St. Pauli werden jedes Jahr 100 000 Essen für Bedürftige gekocht.

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