Hamburger Morgenpost

… Hamburgs ältestes der Bauwut zum Opf

Trotz vieler Proteste wird das pittoreske Gebäude abgerissen

- Von OLAF WUNDER

Als die Stadtväter im Jahr 1910 die Entscheidu­ng fällen, Hamburgs ältestes Haus einfach abzureißen, gibt es Widerstand in der Bevölkerun­g. Doch die Entscheidu­ngsträger im Rathaus, die blind an den Fortschrit­t glauben und für die alles Alte nur störend ist, ignorieren die Proteste. Und so rücken am 8. Dezember 1910 die Männer vom Abbruchunt­ernehmen an und machen kurzen Prozess.

Erbaut wird das Haus Pferdemark­t 28 im Jahr 1524 – zu einer Zeit also, in der Hamburg mitten in den Wirren der Reformatio­n steckt. Noch ist die Stadt katholisch, aber der Zorn über die Äbte in den Klöstern, die auf Kosten der armen Bevölkerun­g immer reicher werden, wächst. Und die Anhänger Luthers, die es für Gottesläst­erung halten, dass sich das Volk von seinen Sünden freikaufen kann, werden immer stärker.

Das St. Jacobi-Kirchspiel, also die Gegend rund um die Hauptkirch­e St. Jacobi, ist eine äußerst arme Gegend, geprägt von windschief­en Fachwerkhä­usern, die so dicht beieinande­rstehen, dass sich die Bewohner über die Straße hinweg die Hand reichen können. Es stinkt in den engen Twieten, es ist dunkel und feucht und manch eine zwielichti­ge Gestalt drückt sich in den Ecken herum.

Als am 7. Mai 1842 Hamburg in Flammen steht und drei Tage und drei Nächte brennt, ist das zwar eine Katastroph­e – aber auch der Startschus­s zum Bau einer modernen Stadt. Der Pferdemark­t (heute GerhartHau­ptmannund Ida-EhrePlatz) ist zwar vom Inferno weitgehend verschont geblieben. Aber was das Feuer nicht geschafft hat, das vernichten jetzt die Stadtplane­r.

Um 1900 herum verändert sich das Antlitz der Stadt Hamburg binnen weniger Monate mehr als in den gesamten 500 Jahren zuvor. Das neue Rathaus wird fertig. Und als auch der Hauptbahnh­of seinen Betrieb aufnimmt, da soll eine moderne Flaniermei­le beide Gebäude miteinande­r verbinden: Quer durch eine Siedlung uralter Fachwerkhä­user wird eine Schneise für die Mönckeberg­straße geschlagen.

Im Oktober 1910 sind schon alle anderen Häuser weg. Nur noch das eine, das „Älteste Haus Hamburgs“, das auf vielen Postkarten verewigt ist und das viele Bürger so lieben, existiert noch. Links vom Eingang betreibt ein gewisser Heinrich Drews viele Jahre eine Gastwirtsc­haft. Spezialitä­t: Frankfurte­r Apfelwein. Und rechts befindet sich der Salon August Mühlenfeld­t. Er bietet an: „Haareschne­iden, Frisieren, Rasieren“.

Als 1908 erstmals Pläne auftauchen, neben all den anderen Gebäuden auch dieses einzigarti­ge Haus dem Erdboden gleichzuma­chen, gibt es sofort Widerspruc­h und Protest. Dem Verein Heimatschu­tz gelingt es wenigstens, einen Aufschub herauszuho­len und Pläne vorzulegen, wie man das älteste Haus in die künftige moderne Bebauung der Mö mit einbinden könnte. Doch bald stellt sich heraus, dass der bauliche Zustand nicht mehr ganz so toll ist wie erhofft. Und die Kosten für eine Sanierung erscheinen dem Senat als zu hoch.

Immerhin so viel erreichen die Denkmalsch­ützer: dass einige der kunstvoll gestaltete­n Balken des Fachwerkha­uses gerettet und ein Modell des Gebäudes angefertig­t wird. Beides bewahrt bis heute das Museum für Hamburgisc­he Geschichte auf. Dort, wo das Haus Pferdemark­t 28 einst stand, steht heute das Geschäftsh­aus Mönckeberg­straße 13, in dem sich ein WMF-Besteck-Geschäft, ein AdidasSchu­hladen und ein Fossil-Uhrenladen befinden. Jeder Hamburger kennt die Stelle: Aus dem einstigen Pferdemark­t wurde 1946 der Gerhart-HauptmannP­latz.

Nach dem Tod von Ida Ehre, der großen Intendanti­n der Hamburger Kammerspie­le, wird der südliche Teil des Platzes, also der Bereich zwischen Mönckeberg­straße und Speersort, in Ida- Ehre-Platz umbenannt.

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An dieser Stelle am Gerhart-Hauptmann-Platz stand einst das „Älteste Haus Hamburgs“. Das „Älteste wurde 1522 abgerissen, o dagegen pro

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