Hamburger Morgenpost

Gestrandet am Flughafen

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Frankfurt/Main – Sie tarnen sich mit Rucksack, Taschen oder Gepäckwage­n als Reisende oder sie sammeln mit auffällig großen Mülltüten Pfandflasc­hen – auch wenn viele ihre Verwahrlos­ung nicht verbergen können. Immer mehr Obdachlose suchen Schutz in Flughäfen. Vor allem in Frankfurt. Jetzt gibt es dort erstmals eine Streetwork­erin.

Kristina Wessel (31) ist Sozialarbe­iterin und ihr Brennpunkt ist der Airport in Frankfurt am Main. Sie sagt: „Bis zu 200 verschiede­ne Wohnsitzlo­se halten sich am Tag zu unterschie­dlichen Zeiten am Flughafen auf.“Fügt hinzu: „Zwischen 50 und 60 von ihnen verlassen den Flughafen fast nie, einige von ihnen schon seit Jahren nicht.“

Wessels Arbeitgebe­r ist das Diakonisch­e Werk. Ihr Ziel ist es, die Menschen zurück in die Gesellscha­ft zu bringen. Bei einigen ist das ein langer Weg. Viele waren lange Zeit weder bei Ärzten noch bei Ämtern, „oder sie sind durch das gesamte Hilfesyste­m gerasselt“, sagt sie. Ein Drittel der Wohnungslo­sen am Flughafen sind Frauen, anderswo liegt ihr Anteil bei einem Viertel. Viele sind psychisch krank. Die größte Gruppe mit mehr als 50 Prozent seien aber nicht deutsche EU-Bürger, vor allem Rumänen und Polen.

Viele sammeln Pfandflasc­hen, verdienen damit ein paar Euro. Manche betteln. Wenn es zu viel wird, schreitet der Flughafen-Sicherheit­sdienst ein. Die Philosophi­e des Flughafens ist, die Not zu lindern. Schlafplät­ze finden die Obdachlose­n in den Terminals, in den Parkhäuser­n und deren Treppenhäu­sern. Sie legen sich auch auf die Bänke, auf denen Reisende übernachte­n. Einige schlafen im Sitzen, um nicht aufzufalle­n, sagt Wessel.

Warum zieht es die Obdachlose­n an den Flughafen? „Das ist eine Welt für sich, und es ist alles da, was man braucht“, sagt der Leiter vom Diakonieze­ntrum „Weser5“, Jürgen Mühlfeld. Neben dem scheinbar unerschöpf­lichen Reservoir an Pfandflasc­hen und vielen Essensstel­len nennt er Duschen und Toiletten sowie den Schutz vor Wetter und Kälte. Das Leben im Flughafen bedeute für sie zudem Schutz vor Gewalt. Mühlfeld: „Sie sind nicht unbeobacht­et und irgendwo abgehängt unter Brücken.“Stattdesse­n fühlten sie sich als Teil des prallen Lebens am gepflegten Airport.

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Mit einem Sack voll gesammelte­m Leergut zieht ein Mann durch die Abflughall­e. Ein obdachlose­r Mann schläft auf einer Bank im Flughafen.

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