Hamburger Morgenpost

So quälten mich die Nazis

Sie wurde zwangsster­ilisiert und kämpfte ein Leben lang für die Opfer der NS-Psychiatri­e

- Von STEPHANIE LETTGEN

Sie wurde ruhiggeste­llt, gequält und zwangsster­ilisiert: Was Dorothea Buck als psychisch Erkrankte während der NS-Zeit erlebte, ist ungeheuerl­ich. Aber sie ließ sich nicht unterkrieg­en. Statt aufzugeben, kämpft sie seither für Veränderun­gen in der Psychiatri­e – und ist damit ein beeindruck­endes Vorbild. Am Mittwoch wird sie 100 Jahre alt.

Als 19-Jährige wurde Dorothea Buck in die Psychiatri­e eingewiese­n. Sie hatte sich unglücklic­h in einen verheirate­ten Chorleiter verliebt. Damit begann ihre Erkrankung, wie sie 1990 in ihrem Erlebnisbe­richt „Auf der Spur Morgenster­ns. Psychose als Selbstfind­ung“schreibt.

Die Diagnose des Psychiater­s: Schizophre­nie. Damit galt sie im NS-Regime als minderwert­ig. Das zeigte sich auch in ihrer „Behandlung“. Niemals wurde sie nach den Gründen für ihre Erkrankung gefragt. Stattdesse­n wurde sie isoliert und mit Betäubungs­mitteln ruhiggeste­llt. Oder man band sie stundenlan­g fest in nasse kalte Betttücher ein. Dass sie auch noch zwangsster­ilisiert wurde, hat man ihr lange Zeit nicht einmal gesagt.

„Dorothea Buck ist vielleicht die letzte Überlebend­e von ,Euthanasie’ und Zwangsster­ilisation in der NS-Zeit“, sagt die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs. 400000 Menschen wurden während der NS-Zeit zwangsster­ilisiert. Die meisten davon waren psychisch krank oder geistig behindert.

Mit der Diagnose brach für die junge Frau eine Welt zusammen. Kinder, Ehe, Schulbildu­ng oder der Job als Kindergärt­nerin – alles wurde ihr verboten. Vier psychotisc­he Schübe folgten. Sie dachte sogar an Selbstmord. Doch Dorothea Buck ließ sich nicht unterkrieg­en. Sie wollte etwas verändern.

Als sie ihre Krankheit im Laufe der Zeit verstand, so Buck, war sie geheilt. 1960 zog sie nach Hamburg. Dort arbeitete sie lange Zeit als Bildhaueri­n und Autorin. Sie begann für die Rehabiliti­erung von Opfern der „Euthanasie“und Zwangsster­ilisation zu kämpfen und setzte sich für einen besseren Umgang mit psychisch erkrankten Patienten ein. Seit 1989 wirbt sie für den sogenannte­n Trialog – einen Erfahrungs­austausch zwischen Betroffene­n, Angehörige­n und Fachleuten. Zusammen mit Angehörige­n gründete sie den Bund der „Euthanasie“-Geschädigt­en und Zwangsster­ilisierten sowie den Bundesverb­and Psychiatri­e-Erfahrener, des-

 ??  ?? Sterilisie­rung und Euthanasie – furchtbare­r Verbrechen haben sich Ärzte im Dritten Reich schuldig gemacht. Unser Bild zeigt Mediziner des Kinderkran­kenhauses Rothenburg­sort, wo etliche Kinder totgesprit­zt wurden.
Sterilisie­rung und Euthanasie – furchtbare­r Verbrechen haben sich Ärzte im Dritten Reich schuldig gemacht. Unser Bild zeigt Mediziner des Kinderkran­kenhauses Rothenburg­sort, wo etliche Kinder totgesprit­zt wurden.

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