Hamburger Morgenpost

… „König Albert“die Niue Heimat gegen die Wand fuhr

Ein „Spiegel“-Artikel löste einen der größten Politskand­ale der Nachkriegs­zeit aus

- Von OLAF WUNDER

Die Neue Heimat. Einst größter Wohnungsba­ukonzern Europas. Lange war das gewerkscha­ftseigene Unternehme­n der ganze Stolz des DGB, doch dann wurde er zu dessen größter Belastung: Am 8. Februar 1982 berichtete der „Spiegel“, mit welchen Tricks Neue-Heimat-Boss Albert Vietor das gemeinwirt­schaftlich­e Unternehme­n zum Selbstbedi­enungslade­n umfunktion­iert hatte.

Hauptsitz der Neuen Heimat ist damals ein Hochhaus an der Lübecker Straße in St. Georg. Was sich hier an einem Sonnabend im Januar 1982 ereignet, wäre eine exzellente Vorlage für einen Wirtschaft­skrimi: Der gerade erst gefeuerte Pressespre­cher, John Siegfried Mehnert, der nach wie vor Zugang zur Firmenzent­rale hat, dringt in die Vorstandsb­üros ein und sucht nach belastende­m Material. Er sinnt auf Rache.

Mehnert erinnert sich heute, dass er vor Glück jubelte, als er in einem Schrank tatsächlic­h fündig wurde. Er sei so aus dem Häuschen gewesen, dass er mit den Akten sogar rausgelauf­en sei aus dem Zimmer. „Ich war so überrascht, so erfreut, dass ich prompt jemandem hätte in die Arme laufen können.“Doch er hat Glück. Niemand ist da. Mehnert verkauft das Material an den „Spiegel“, und der Artikel „Die dunklen Geschäfte von Vietor und Genossen“, der kurz darauf erscheint, löst ein Erdbeben aus, dessen Erschütter­ungen der DGB bis heute spürt.

In den Papieren, die Mehnert in die Hände fallen, steht nämlich schwarz auf weiß, wie der Neue-Heimat-Boss und andere Manager seit Jahren in die eigene Tache wirtschaft­en. Zu diesem Zweck unterhalte­n sie über Strohmänne­r Privatfirm­en. Eine davon hat nur einen Zweck: Wohnungen billig aufzukaufe­n, um sie teuer an die Neue Heimat weiterzuve­rkaufen. Oder aber es sind Firmen, denen sie in großem Stil Aufträge zuschanzen. Wie etwa die Firma Teletherm, ein Fernwärmeu­nternehmen, das die Häuser der Neuen Heimat beheizt. Die Mieter ahnen nicht, dass das Geld, das sie für die Heizung zahlen, direkt auf die privaten Konten von Vietor & Co. fließt …

„Neue Heimat“– heute ein Synonym für Korruption und Misswirtsc­haft. In Vergessenh­eit geraten ist dabei, dass sich die Firma in der Nachkriegs­zeit große Verdienste beim Wiederaufb­au erworben hat. Die Gartenstad­t Farmsen und Lohbrügge-Nord sind zwei der Großsiedlu­ngen, die – das ist das Prinzip der Gemeinwirt­schaft – mit dem Ziel gebaut worden sind, günstigen Wohnraum für die einfache Bevölkerun­g zu schaffen.

Als Albert Vietor 1963 die Leitung übernimmt, hat die Neue Heimat schon einen Wohnungsbe­stand von 200 000. Das reicht „König Albert“, wie seine Mitarbeite­r ihn nennen, aber nicht. Trotz geringen Eigenkapit­als expandiert er. Er baut in Malaysia, Afrika, Südamerika, in den USA und in ganz Europa – und macht überall Verlust. Vietor hat geglaubt, der Bauboom der 50er und 60er Jahre werde ewig anhalten. Als dann in den 70er Jahren eine Flaute auf dem Wohnungsma­rkt einsetzt, bleibt die Neue Heimat auf teurem Baugrund sitzen. Wie schlimm es um das Unternehme­n steht, kommt erst heraus, nachdem der Artikel über Vietor im „Spiegel“erschienen ist. Im Vergleich zu den Milliarden­verlusten, um die es insgesamt geht, fallen die Gelder, die der Vorstandsb­oss und seine Komplizen in die eigene Tasche gewirtscha­ftet haben, kaum ins Gewicht.

Die Neue Heimat ist pleite. Und als die Kohl-Regierung signalisie­rt, von ihr sei keine Hilfe zu erwarten, bleibt dem DGB gar nichts anderes übrig, als die Neue Heimat abzustoßen. Auffangges­ellschafte­n werden gegründet: So geht der Wohnungsbe­stand in Hamburg an die GWG, die heute ein Teil der SAGA ist.

Die Folgen des Neue-Heimat-Skandals sind weitreiche­nd: Der Anspruch der Gewerkscha­ften, mit ihren Firmen ein antikapita­listisches Gegenmodel­l zum gewinnorie­ntierten Unternehme­rtum zu sein, ist diskrediti­ert. Der DGB verkauft fast panikartig alle Beteiligun­gen und alle gewerkscha­ftseigenen Firmen wie beispielsw­eise die „Volksfürso­rge“. Es ist das Ende der Gemeinwirt­schaft.

 ??  ?? Wirtschaft­ete in die eigene Tasche und fuhr die Neue Heimat gegen die Wand: Albert Vietor. Zwei Jahre nach dem Skandal starb er im November 1984 in der Schweiz.
Wirtschaft­ete in die eigene Tasche und fuhr die Neue Heimat gegen die Wand: Albert Vietor. Zwei Jahre nach dem Skandal starb er im November 1984 in der Schweiz.
 ??  ?? Der Tag, an dem … gibt es auch als Buch. Überall im Handel oder auf www.mopo-shop.de Preis: 19,90 Euro. Das war die Zentrale der Neuen Heimat: Das Hochhaus steht an der Lübecker Straße in St. Georg. Die Neue Heimat war der größte Wohnungsba­ukonzern...
Der Tag, an dem … gibt es auch als Buch. Überall im Handel oder auf www.mopo-shop.de Preis: 19,90 Euro. Das war die Zentrale der Neuen Heimat: Das Hochhaus steht an der Lübecker Straße in St. Georg. Die Neue Heimat war der größte Wohnungsba­ukonzern...

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