Hamburger Morgenpost

– geht das?

Sieben Monate ist MOPO-Redakteur Mathis Neuburger täglich von Wilhelmsbu­rg nach Othmarsche­n geradelt – hier seine Bilanz

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Von MATHIS NEUBURGER

Der Tacho zeigt 43,7 km/h an, ich trete entspannt in die Pedale, die Sonne steigt über dem Hafen auf, die Elbphilhar­monie glitzert im Morgenlich­t, die Luft ist klar, alle anderen stehen im Stau und ich rausche mit einem Grinsen am Deich entlang: So schön kann der Arbeitsweg sein. Wenn das Wetter stimmt – und man ein E-Bike hat.

Es gibt auch die anderen Tage: Wenn einen die Kollegen irritiert mustern, weil man klitschnas­s ins Büro kommt. Wenn die Zehen einfrieren, weil minus 5 Grad doch kälter sind als gedacht. Wenn Schneefloc­ken so in den Augen schmerzen, dass man kaum gucken kann. Oder wenn man zum zweiten Mal in der gleichen Kurve wegrutscht (überfriere­nde Nässe ist ein fieser Gegner) und laut Aua schreit.

Auch beim Style sind Abstriche nötig: Zu Beginn lachen die Kollegen, wenn man eine Art Kopftuch gegen den kalten Wind und darüber einen Helm aufzieht sowie die quietschge­lbe Signalwest­e überstreif­t. Aber sie gewöhnen sich dran. Und immerhin geht es dabei um Leben und Tod. Und um das große Ganze – um Glück und die Welt.

Um Glück, weil ein schnelles E-Bike, bei dem der Motor bis zu 45 statt 25 km/h unterstütz­t, ein göttliches Gefühl verleiht. Mühelos fliegt man über den Asphalt, als säße der gedopte Lance Armstrong auf dem Gepäckträg­er und träte mit. Gegenwind? Anstiege? Egal. Vor der Arbeit das System durchpuste­n, nach der Arbeit den Kopf freitreten – das tut gut. Über die Kollegen mit ihren Fitnesstra­ckern und Schrittzäh­lern lächele ich milde.

Unter 30 Minuten brauche ich für die zwölf Kilometer von Wilhelmsbu­rg nach Othmarsche­n, inklusive des Alten Elbtunnels mit seinen Fahrstühle­n. Mit einem normalen Rad wären es – je nach Windrichtu­ng – mindestens anstrengen­de 45 Minuten.

Um die Welt geht es, weil die Alternativ­e ein Auto wäre. 18 Kilometer hin, 18 Kilometer zurück. Abgase, Stau auf der Köhlbrandb­rücke, Stau vorm Elbtunnel, Fahrzeit je nach Verkehrsla­ge 20 bis 40 Minuten. Vor unserem Umzug von Ottensen nach Wilhelmsbu­rg fuhr ich immer Rad, dann die Frage: Fahre ich jetzt täglich mit unserem Campingbus, den meine Frau ja auch ab und zu braucht? Quetsche ich mich jeden Morgen in die S-Bahn? Kaufe ich extra einen Kleinwagen? Ich verglich schon Opels mit Skodas, als ich mir einfach mal ein E-Bike geliehen habe.

Nach zwei Tagen war klar: Nix Auto, nix S-Bahn – E-Bike! 3199 Euro kostet das Schmuckstü­ck. Es sieht aus wie ein normales Rad, nur dass ein schwarzer Akkublock am Rahmen hängt und zwischen den Pedalen ein Motor sitzt. Für die deutsche Verkehrsbü­rokratie gilt das Teil als Moped, ein Versicheru­ngskennzei­chen ist Pflicht, ein Helm sowieso. Handschuhe empfehle ich wärmstens, nicht nur im Winter.

Apropos Temperatur: Weder zu frieren noch zu schwitzen ist eine Wissenscha­ft für sich. Merksatz: alle sieben Grad eine Schicht mehr bzw. weniger. Und bei Schneefall hilft eine Skibrille, kein Witz.

Zwei Dinge gilt es aber zu beachten: Ein schnelles Rad braucht freie Fahrt. Wer primär durch enge Viertel fährt, hat wenig Spaß mit seinem Flitzer. Auch auf schmalen Radwegen ist man falsch, das Befahren ist im Übrigen verboten, man fährt ja rechtlich ein Moped – was problemati­sch sein kann: Wer will schon auf der sechsspuri­gen Kieler Straße oder im Hafen zwischen 40-Tonnern fahren, wenn nebendran ein leerer Radweg verläuft. Andere Länder sind da weiter, erlauben etwa das Fahren auf Rad- und Radschnell­wegen.

Und es braucht Disziplin: Wer bei jedem Regentröpf­chen überlegt, ob er nicht doch den Wagen nehmen soll, kommt zumindest im Winter nicht weit. Ich fahre einfach jeden Tag, bei jedem Wetter (außer bei richtig Glatteis, das ist zu gefährlich), ohne zu überlegen. Der Winter war Kosten Kasko-Versicheru­ng: 90 Euro/Jahr Modell: Riese & Müller Roadster HS Motor: Bosch Performanc­e Speed Akku: 500 Wh Reichweite: ca. 36 bis 100 km, je nach Unterstütz­ungsgrad zum Glück mild und trocken. Eine Regenhose habe ich immer dabei, im Sommer auch eine leichte Regenjacke.

So hat das E-Bike mir tatsächlic­h den Kauf eines Autos ersetzt. Noch schöner ist folgende Rechnung: Kalkuliere ich bei einem Auto 20 Cent pro Kilometer an Kosten, habe ich den Fahrradpre­is nach zwei Jahren wieder drin – inklusive laufender Kosten.

Mühelos fliege ich über den Asphalt – als träte der gedopte Lance Armstrong mit.

Das hier beschriebe­ne Modell gibt es unter anderem im „eBike Store“(Lindenplat­z 1, St. Georg, Tel. 209 33 22 10).

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