Von heldenhaften Überläufern, „falschen“Trikots und einer komischen Kugel
Ein Hamburger Matchwinner schließt sich St. Pauli an. Jakobs-Tragödie beim Kantersieg. Hrubesch knipst am Rothenbaum. Werder-Fans wählen HSV-Star zum „Spieler des Jahres“
Es ist das 152. Nordderby. Kein Spiel im deutschen Fußball hat mehr Geschichte als das Duell des HSV gegen Werder Bremen. Die Gastgeber von der Weser führen in der Statistik mit 57:53 Siegen. Die MOPO am Sonntag blickt zurück auf zwölf besondere Derby-Begegnungen.
13.3.1927: Werder – HSV 1:4
Nachdem das Aufeinandertreffen 1914 kriegsbedingt ausfällt, kommt es zwölfeinhalb Jahre später endlich zum ersten Nordderby. In der ABTS-Kampf ahn, die 1947 zum Weserstadion wird, qualifiziert sich der HSV mit dem Sieg für die Endrunde um die norddeutsche Meisterschaft, muss dort allerdings Holstein Kiel den Vortritt lassen.
1.9.1935: Werder – HSV 4:5
Gestiftet vom NS-Reichssportführer Tschammer wird erstmals ein deutscher Pokal ausgespielt. Zur Halbzeit führt Werder noch 3:2, nach 90 Minuten hat der HSV allerdings mit 5:4 die Nase vorn. Den neuen Wettbewerb wollen sich gerade 6600 Besucher anschauen – Minusrekord für ein Nordderby-Pf ichtspiel.
9.11.1947: Werder – HSV 0:6
Alfred Boller ballert wie wild: Gleich drei Mal trifft der Mittzwanziger aus dem Vogtland im ersten Punktspiel-Derby beider Vereine. Es ist Bollers letzte Saison für den HSV, über den Umweg Trossingen schließt er sich danach ausgerechnet dem FC St. Pauli an. Beim Kantersieg in Bremen setzt „Old Erwin“Seeler den Schlusspunkt zum 6:0.
5.8.1959: HSV – Werder 9:1
Im norddeutschen Pokal haben die Bremer dem überragenden HSV-Rechtsaußen Klaus Neisner nichts entgegenzusetzen und kassieren die höchste Niederlage in der Derby-Geschichte. „Micky“Neisner kam aus Berlin zum HSV, er ist damit der „Exot“in einer Elf um Uwe Seeler und Kapitän Jochen Meinke, die fast nur aus Hamburgern besteht und im Sommer 1960 „endlich“deutscher Meister wird.
12.10.1963: Werder – HSV 4:2
Klar, dass die großen Nordrivalen beide in die neue „Bundesliga“aufgenommen werden. Im ersten Derby dort behält Werder die Oberhand, weil Uwe Seeler zwar für den HSV trifft, „Pico“Schütz aber gleich drei Mal für die Bremer. „Die Stimmung vor den Derbys war immer speziell“, erinnert sich Schütz, „schließlich ging es damals darum, wer die Nummer eins im Norden war.“
27.11.1971: HSV – Werder 2:1
Werder macht blau: Bremer und Hamburger laufen beide in rotweißen Trikots auf. Schiedsrichter Walter Eschweiler ist das zu eintönig, in der Halbzeitpause fordert er die Gäste zum Wechseln auf. Weil Werder keinen zweiten Trikotsatz dabeihat, müssen sie sich Hemdchen aus Hamburg leihen … 45 Minuten später hat der HSV sich mit seinen neuen Talenten Kargus, Volkert, Kaltz und Memering dafür die Punkte geholt.
22.3.1980: HSV – Werder 5:0
Der HSV ist zum europäischen Spitzenverein geworden, Werder steigt am Ende der Saison zum einzigen Mal aus der Bundesliga ab. Horst Hrubesch schießt im ungleichen Duell gleich drei Tore gegen Dieter Burdenski – an ungewöhnlichem Ort. Das Spiel findet im alten Rothenbaum-Stadion statt, dessen Südtribüne noch im selben Jahr durch einen Orkan zerstört wird. Anderthalb Jahrzehnte später wird das Stadion abgerissen.
29.1.1983: Werder – HSV 3:2
Ein Nordderby mit höchster Brisanz: Im Pokalspiel drei Monate zuvor ist Werder-Fan Adrian Maleika von HSV-Fans mit einem Stein am Kopf getroffen worden und daran gestorben. Das erste Derby nach dem Todesfall endet mit der ersten HSV-Niederlage nach 36 unbesiegten Bundesliga-Spielen. Mit Rudi Völler wird Werder zum härtesten Rivalen des HSV, der sich dank der besseren Tordifferenz am Ende aber doch seine sechste deutsche Meisterschaft sichert.
20.9.1989: HSV – Werder 4:0
Der HSV spielt vor nur 14 000 Zuschauern groß auf, doch Verteidiger Ditmar Jakobs ist der große Verlierer: Bei einem Rettungsversuch rutscht der Nationalspieler ins eigene Tor, wobei sich ein Karabinerhaken der Netzverankerung in seinen Rücken bohrt. „Ich war unter Schock, spürte noch keinen Schmerz“, sagt Jakobs später. Erst nach 20 Minuten kann er befreit werden, seine Fußballkarriere ist nach 493 Bundesliga-Spielen allerdings beendet.
1.5.2004: Werder – HSV 6:0
Ein Kopf all ins eigene Tor von Sergej Barbarez leitet die höchste HSV-Pleite der Derbygeschichte ein. „Eine Sauerei, dass der HSV sich so abschießen lässt“, ätzt Bayern-Boss Uli Hoeneß. Denn Werder hat die vielleicht stärkste Mannschaft der Vereinsgeschichte, die kurz darauf auch deutscher Meister wird. Am Ende mit sechs Punkten Vorsprung auf Bayern München – und 25 auf den HSV.
13.5.2006: HSV – Werder 1:2
Das einzige ChampionsLeague-Endspiel gegeneinander – in dem Sinne, dass der Sieger einen Platz in Europas Königsklasse sicher hat. Dem HSV reicht sogar ein Remis, doch Miroslav Klose schießt die Bremer zum Sieg, nachdem der ehemalige Werder-Knipser Ailton für den HSV kurz zuvor aus acht Metern das leere Tor nicht getroffen hat. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: Im Internet wählen Werder-Fans Ailton danach zum „HSV-Spieler des Jahres“.
7.5.2009: HSV – Werder 2:3
Auf dem Papier schien die Sache klar: Der HSV hatte das Halbfinal-Hinspiel in der Europa League bei Werder 1:0 gewonnen. Doch zehn Minuten vor Schluss führt Werder im Volkspark 2:1, als HSV-Verteidiger Michael Gravgaard der Ball über eine Papierkugel verspringt, die aus einer HSV-Fan-Choreo auf dem Rasen gelandet ist. Statt Auf auspiel HSV gibt es Ecke für die Bremer, die Frank Baumann zum 1:3 nutzt. „Die Kugel nehme ich mit“, jubelt WerderManager Klaus Allofs, „die kommt in unser Museum.“Besonders bitter für den HSV: Zwei Wochen zuvor hat Werder schon das DFB-Pokal-Halbfinale im Volkspark nach Elfmeterschießen für sich entschieden.