Der große Betrug am Bosporus
Bis zu eine Million strittige Wahlzettel. Helfer stempelten „Ja“. Annullierung?
Ankara – Zwei Tage nach dem türkischen Referendum setzt sich im „NeinLager“allmählich die Erkenntnis durch, Opfer einer Manipulation geworden zu sein. Die Oppositionspartei CHP fordert die Annullierung der Wahl. „Jetzt muss rasch Klärung darüber hergestellt werden, ob die Abstimmung fair und sauber abgelaufen ist“, fordert auch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU).
Eine Annullierung oder Neuauszählung des mit 51,4 Prozent knapp gewonnen Referendums wird es nicht geben. Weil sich Präsident Recep Tayyip Erdogan den von ihm betriebenen Umbau der Türkei hin zur Präsidialdiktatur nicht wird nehmen lassen. Selbst wenn die Manipulationsvorwürfe bewiesen sind.
Dennoch kämpft das Nein-Lager – allein, um Erdogan als Fälscher zu entlarven. Mit Hilfe der Handy-App „T3“will die türkische Freiwilligenorganisation „Oy ve Ötesi“(„Wahl und mehr“) laut „Süddeutscher Zeitung“Manipulationen aufspüren. Lückenlos wird das erst möglich, wenn das Endergebnis nach Wahlbezirken aufgeschlüsselt vorliegt. Darauf gründet sich der Fälschungsverdacht: ➤ Illegale Wahlzettel Alle Stimmzettel mussten zuvor von der Wahlkommission abgestempelt werden. Doch weil es offenbar zu wenig Stimmzettel gab, wurden Zettel ohne Stempel oder falsch abgestempelt nachgeliefert. Noch während der Abstimmung entschied die Wahlkommission, die Ersatzstimmzettel zu akzeptieren. Mehr als eine Million Stimmen könnten betroffen sein.
➤ Merkwürdige Praktiken Es sind Fälle dokumentiert, in denen Männer für ihre Frauen abstimmten, berichtet die „SZ“. Und Polizisten, die vor den Wahlbüros auf der Jagd nach „Terroristen“Personen kontrollierten und verhafteten. Reihenweise „Ja“gestempelt ➤ In sozialen Netzwerken
„Das Ergebnis hat keine Legitimation“Sezgin Tanrikulu, CHP-Abgeordnete
kursieren Videos, auf den Wahlhelfer zu sehen sind, die reihenweise Stimmzettel mit „Ja“abstempelten. ➤ Viele Kurden ausgeschlossen Bis zu 500 000 Kurden, die aus ihrer ursprünglichen Heimat „umgesiedelt“worden waren, konnten nicht abstimmen – weil es keine Möglichkeit gab, sich neu registrieren zu lassen. Wahlkommission neu besetzt ➤ Vor allem Richter, die ursprünglich der Wahlkommission angehörten, waren vom Dienst suspendiert worden – so wie 100000 Beamte im Land. Sie wurden ersetzt durch Erdogan-treue Beamte.
Für die Beobachter der OSZE steht fest, dass es Manipulationen gab. Über das Ausmaß herrscht bald Klarheit.