Hamburger Morgenpost

Das unglaublic­he Lebendes französisc­hen Kennedy

Kickboxer, Philosoph mit Sex-Appeal – und bald Präsident? Emmanuel Macrons sagenhafte­r Aufstieg

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Von RALF DORSCHEL

Paris – Wenn’s gut geht, hat Europa jetzt seinen Kennedy. Oder, bisschen frischer: seinen Trudeau. Emmanuel Macron hat Charisma und Sex-Appeal, ist schnell im Denken und scharf in der Analyse. Wenn’s aber schiefgeht, darf Marine Le Pen sich in fünf Jahren auf ein paar Millionen Neuwähler freuen. Macron wird wohl Frankreich regieren – und will es auf den Kopf stellen. Karate-Schläge und gezielte Fußtritte: Die französisc­he Box-Spielart Savate ist nichts für zarte Gemüter. Emmanuel Macron liebt Savate: voller Einsatz, volles Risiko und niemals zögern.

Der 39-Jährige lässt nichts anbrennen. Nicht politisch: „Nicht links, nicht rechts“sieht er sich. Für die Linken gibt’s offene Grenzen, die Verurteilu­ng von Frankreich­s Kolonialve­rbrechen und die völlige Gleichstel­lung Homosexuel­ler. Für die Rechten den Abbau des Sozialstaa­tes und üppige Steuergesc­henke für Konzerne.

Und schon gar nicht privat: 15 war er und Jesuitensc­hüler, als Emmanuel Macron sich Hals über Kopf in Brigitte Trogneux verliebte. Blöd nur, dass Trogneux seine Lehrerin war, 24 Jahre älter und Mutter dreier Kinder. Macrons entsetzte Eltern schicken den liebestoll­en Sprössling ins ferne Paris. Vergeblich: Der Junge hält an seiner Liebe fest, heute sind die beiden verheirate­t und der politische JungDynami­ker gibt zu Hause den Stief-Opa für die Enkel seiner Gattin.

Die beiden sind ein strahlende­s Dreamteam – die Gazetten freuen sich schon auf diese glamouröse First Lady. Ganz klar ein Fortschrit­t gegenüber dem Herzschmer­zGrobmotor­iker François Hollande.

Emmanuel Macron ist beides: Schöngeist alter Schule, Klavier-Virtuose und studierter Philosoph. Und zugleich die schmucke Abrissbirn­e der Republik – sicher kein Zufall, dass er an der Uni über Machiavell­i schrieb.

Das Establishm­ent hat er meisterhaf­t benutzt: Macrons erstaunlic­h rasante Karriere verlief perfekt inszeniert. Von der Elite-Schule ENA über einen Job als blutjunger Investment-Banker, dann Teilhaber beim Nobel-Geldhaus Rothschild. Unter Hollande wurde Macron 2014 Minister – und eckte mit seinen drastische­n neoliberal­en Ideen an.

„Ich habe Europa im Herzen.“Emmanuel Macron

Das dröge Rumgezöger­e des Präsidente­n ging dem Jungspund aber auch auf die Nerven: Im vergangene­n August trat Macron zurück und gründete seine eigene Bewegung. Ein müdes Lächeln gab’s dafür im Kabinett. Heute lacht keiner mehr und konservati­ve Sozialdemo­kraten laufen in Scharen zu dem smarten Newcomer über.

Nur mal angenommen, im Berliner Kanzleramt hätten sie sich einen Wunschrege­nten für Paris selbst basteln dürfen – er sähe genauso aus wie dieser smarte Polit-Posterboy. Mit Vizekanzle­r Sigmar Gabriel ist Macron pri-

vat befreundet. Und sein wichtigste­s Alleinstel­lungsmerkm­al in diesem seltsamen Wahlkampf ist seine Liebe zu Europa. Macron steht für eine starke EU: „Ich habe Europa im Herzen.“

Alles zu schön, um wahr zu sein? Hier sind ein paar Risiken und Nebenwirku­ngen: Vom Regieren hat Macron kaum Ahnung, in Ministerie­n und Behörden nur ganz wenige Helfershel­fer. Und auch seine Privatpart­ei „En Marche“(die Initialen EM stehen da nicht nur zufällig) hat mehr Greenhorns als alte Hasen im Aufgebot. „Vertreter der Zivilgesel­lschaft“nennt Macron das. So was kann total charmant daherkomme­n – aber auch in Stolpern und Stümpern münden.

Macrons Erfolg ist der Stempel unter dem Armutszeug­nis des Polit-Establishm­ents – keine traditione­lle Partei hat es überhaupt in die Stichwahl geschafft. Doch es ist auch ein Sieg des urbanen, modernen Frankreich­s über die Provinz. Denn die wählt den Front National. Wer im Zuzug von Migranten eine Chance für alle sieht, folgt dem entschiede­n weltoffene­n Macron. Wer Fremde noch nie leiden konnte, bleibt Le Pen treu.

Und am Ende wird es nur um eins gehen: Kann dieser Eliteschül­er und Investment­banker das Leben der „kleinen Leute“verbessern? Denn noch mal dürfte Frankreich nicht den Kopf aus der Schlinge bekommen: Macrons Scheitern wäre Marine Le Pens Durchmarsc­h zur Macht. 61 Prozent soll Macron in 14 Tagen einfahren, so sagen Umfragen. Er ist Frankreich­s größte Hoffnung seit sehr vielen Jahren. Und zugleich die letzte Chance.

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Jubel nach dem Wahlerfolg: Emmanuel Macron in der Nacht vor dem Restaurant, in dem seine Wahlparty lief
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Daumen hoch für Europa: Emmanuel Macron
 ??  ?? Dreamteam mit Glamour-Faktor: Macron und Gattin Brigitte Trogneux – die war in alten Tagen seine Lehrerin.
Dreamteam mit Glamour-Faktor: Macron und Gattin Brigitte Trogneux – die war in alten Tagen seine Lehrerin.
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„Sensation Macron“: Frankreich­s Tageszeitu­ngen zeigen den Sieger.

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