Warum ist München so viel sicherer als Hamburg?
In der Elbmetropole gibt es deutlich mehr Straftaten als in Bayerns Hauptstadt – Kriminalexperten wissen, woran es liegt
Die Zahlen haben es in sich! Am Montag hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) vorgestellt. Das Ergebnis: Mit 13341 erfassten Straftaten pro 100 000 Einwohner landet Hamburg auf Platz sieben aller deutschen Großstädte (MOPO berichtete). Deutscher Meister in puncto Sicherheit ist München (7909 Verbrechen). Warum hinkt unsere Stadt den Bayern so sehr hinterher? Die MOPO fragte nach.
Sind Hamburgs Bürger einfach pingeliger? Nach Angaben des renommierten Kriminologen Christian Pfeiffer haben Hamburger eine deutlich höhere Anzeigebereitschaft. „In Bayern werden die Dinge eher informell geregelt, ohne Polizei“, sagt Pfeiffer. Als Beispiel nennt er die Körperverletzungen: Die schweren Fälle seien in der Vergangenheit in beiden Städten auf einem Niveau gewesen, bei den einfachen Körperverletzungen habe Hamburg aber die Nase deutlich vorn. „Als ich das mal mit der Münchner Polizei erörtert habe, hat mich ein Polizist angelacht und gesagt: „Wir sind doch keine Deppen! Wir machen aus a Watsch’n doch keinen Staatsakt!’“
Warum wird in Hamburg jeder Fall zu Protokoll gebracht? „In Hamburg werden anzeigende Bürger wegen kleinerer Delikte viel seltener abgewimmelt – das erhöht Fallzahlen und rettet Planstellen“, sagt Pfeiffer. Diesen „Trick“benötige die Münchner Polizei nicht. „Man bekommt die Planstellen einfach so“, weiß der Kriminologe.
„In München gibt es eine höhere Polizeidichte als in Hamburg, gerade bei der Kriminalpolizei“, sagt André Schulz, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Dadurch sei der Verfolgungsdruck für Täter deutlich höher. Gibt es in Hamburg zu wenig Polizisten? Ja, sagt Joachim Lenders, stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. „Die Personalsituation ist in Hamburg seit Jahren angespannt. Unsere Beamten hetzen von Einsatz zu Einsatz.“Und: Hamburgs Justiz sei zu nachsichtig. „Obwohl die Rechtsgrundlage in beiden Städten gleich ist, werden in München bei gleichen Delikten drakonischere Urteile ausgesprochen“, so Lenders. „Das schreckt Täter ab“, ergänzt Schulz.
Ist Hamburgs Justiz zu schlaff? Diese Wahrnehmung hat Kai Wantzen, Richter am Hamburger Oberlandesgericht, nicht. „Die kriminologische Forschung geht davon aus, dass höhere Strafen kaum Abschreckungswirkung haben“, so Wantzen. Entscheidender sei das von einem potenziellen Straftäter wahrgenommene Entdeckungsrisiko. Das ist in München offenbar höher. „Da Streifenpolizisten bei uns nicht so viel bürokratische Angelegenheiten erledigen müssen, ist die Präsenz unserer Beamten auf der Straße sehr hoch“, sagt Sven Müller, Sprecher der Münchner Polizei. Dadurch würden zum Beispiel Einbrecherbanden aus Osteuropa München vermehrt meiden.
Ist der Respekt vor Hamburgs Polizei nicht so groß? „Zumindest die Wertschätzung der Beamten ist in Süddeutschland höher“, sagt Lenders. Möglicherweise hat das auch mit der Aufklärungsquote zu tun: In Hamburg liegt sie bei 44,8 Prozent – in München bei 61,6 Prozent! „Münchens Polizei hat die größte Aufklärungsquote“, weiß Pfeiffer. Auch das schreckt Täter ab.
Welche Rolle spielt die soziale Herkunft? „Hamburg hat viel mehr soziale Gegensätze als München“, sagt Pfeiffer. Vor allem die Arbeitslosigkeit sei in München deutlich niedriger – deswegen kommen in Bayern auch weniger Menschen auf die Idee, sich am Eigentum anderer zu vergreifen.
Warum hat die Kirche Einfluss auf die Zahl der Straftaten? Laut Pfeiffer gibt es einen Faktor „Soziales Kapital“– der wird an der Anzahl der Nachbarschaftskontakte gemessen. „Da ist der gesamte Süden besser aufgestellt. Ein Faktor ist die katholische Kirche mit ihren noch relativ gut funktionierende Kirchengemeinden“, so Pfeiffer. Wer in eine solche Gemeinde gehe, und eine Straftat begehe, würde sehr „beschämt“, sollte das bekannt werden. „Wer aber anonym in irgendeinem Hochhaus lebt und nichts zu verlieren hat, ist eher in Gefahr auch verbotene Sachen zu tun.“
Wie glaubwürdig ist die Statistik? Sie ist zumindest umstritten. „Sie zeigt die polizeilich erfassten Straftaten. Ein erheblicher Teil der Taten wird der Polizei aus verschiedenen Gründen nicht bekannt. Deswegen muss man bei den Zahlen aufpassen“, sagt André Schulz. Auch aus der Justiz gibt es Kritik: „In der PKS werden Straftaten nach Anzeigen erfasst, auch wenn Tatverdächtige gar nicht ermittelt werden können“, sagt Kai Wantzen. Nur ein Bruchteil der in der PKS erfassten Anzeigen käme bei den Gerichten an.