Hamburger Morgenpost

Die ignorierte Katastroph­e

20 Millionen Menschen droht in Nahost und Ostafrika der Hungertod, aber die Weltgemein­schaft hilft nur halbherzig

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Sanaa/New York – „Die Welt steht vor der größten Katastroph­e seit 1945“, sagt Stephen O’Brien. Der Mann weiß, wovon er redet – er ist Nothilfeko­ordinator der Vereinten Nationen. Und er spricht über eine Bedrohung biblischen Ausmaßes. In Somalia, Jemen, Südsudan und Nigeria droht 20 Millionen Menschen der Hungertod. Die meisten davon sind Kinder.

Allein im Jemen hungern 2,2 Millionen von ihnen, mehr als 500 000 schweben bereits in akuter Lebensgefa­hr. Kriege und die schlimmste Dürre seit Jahrzehnte­n sind die Hauptgründ­e für den drohenden Tod von Millionen. Und die Tatsache, dass die internatio­nale Staatengem­einschaft die sich anbahnende Katastroph­e bisher weitgehend ignoriert. Auf einer Geberkonfe­renz in Genf sagten die reichen Industrien­ationen jetzt zwar Hilfen in Höhe von 1,1 Milliarden USDollar zu – aber davon wurden bisher gerade mal 300 Millionen Dollar an die Hilfswerke und UN-Organisati­onen überwiesen. Gebraucht werden aber allein in den nächsten Monaten 4,4 Milliarden Dollar, um das Schlimmste zu verhindern. Geert Cappelaere, Regionaldi­rektor des Weltkinder­hilfswerke­s UNICEF für den Nahen Osten und Nordafrika: „Wir befinden uns in einem dramatisch­en Wettlauf gegen die Zeit.“

Dass die dringend benötigten Hilfen bisher zum großen Teil ausbleiben, liegt nicht zuletzt auch an der Politik des neuen US-Präsidente­n Donald Trump. Während allein Deutschlan­d mehr als 100 Millionen der in Genf zugesagten 1,1 Milliarden Dollar bezahlt, kürzten die USA ihre Hilfen dramatisch zusammen. Nach seinem Motto „America first“strich Trump die Hilfszahlu­ngen der USA an die UN drastisch. Bisher zahlte das reiche Amerika 40 Prozent der benötigten Gelder im Kampf gegen den Hunger.

Doch auch die Regierunge­n der betroffene­n Länder tragen einen Großteil der Verantwort­ung für das Leid ihrer Völker. Ob Jemen, Südsudan, Somalia, Zentralafr­ikanische Republik, Äthiopien oder Nigeria – überall toben Kriege oder Bürgerkrie­ge, durch die ganze Regionen von der dringend benötigten Hilfe abgeschnit­ten sind. Damit nicht genug: Statt die Menschen mit Lebensmitt­eln und Wasser zu versorgen, geben die Politiker die Staatsgeld­er lieber für Waffen aus. Der Südsudan beispielsw­eise nimmt erhebliche Summen durch Ölexporte ein. Gekauft werden davon aber Panzer, Raketen und Gewehre statt Brot, Mais und Reis.

Im Jemen kämpfen seit 2015 schiitisch­e Huthi-Rebellen gegen die Armee der sunnitisch­en Zentralreg­ierung. Der steinreich­e Nachbarsta­at Saudi-Arabien schickt aber lieber Kampfjets als Unterstütz­ung für die korrupten Machthaber, statt mit Hilfsliefe­rungen Millionen Kinder vor dem Tod zu retten.

In Somalia schlachten seit Jahrzehnte­n Regierungs­truppen und islamistis­che Fanatiker gegnerisch­e Kämpfer, aber auch Zehntausen­de Zivilisten ab. Ahmed Khadar, Geschäftsm­ann in der Stadt Hargeisa, nennt die zweite Ursache für das Unheil: „Seit Jahren hat es hier nicht mehr geregnet. Wir wissen nicht, wie wir das weiter durchstehe­n sollen.“UN-Hilfskoord­inator O’Brien sagt es deutlicher: „Wir brauchen vier Milliarden Dollar. Sonst sterben im Jemen und in Ostafrika Millionen den Hungertod.“

„Die Welt steht vor der größten Katastroph­e seit 1945.“UN-Koordinato­r O’Brien

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Eine aus Somalia nach Äthiopien geflüchtet­e Mutter hält in einem Lager ihr hungerndes Kind in den Armen.
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21 Millionen Menschen sind im Jemen auf humanitäre Hilfe angewiesen – 82 Prozent der Bevölkerun­g.
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Zwei notleidend­e Kinder stehen in der Wüste Äthiopiens vor Skeletten verdurstet­er Kühe.

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