Das große Klitschko-Fragezeichen
17 Monate sind seit seinem letztem Kampf vergangen. Das sagen die Experten
Millionen TV-Zuschauer weltweit, 90 000 Zuschauer im Wembley-Stadion, zwei Männer im Ring und eine Frage, die Box-Fans und Experten gleichermaßen bewegt, DIE Frage: Hat es Wladimir Klitschko nach der längsten Kampfpause seiner Karriere noch drauf – ist „Dr. Steelhammer“richtig ausgeruht oder eingerostet?
Jeder kennt das Sprichwort: Wer rastet, der rostet. Wer Wladimir Klitschko in diesen Tagen sieht, austrainiert bis in die letzte Faser, und erlebt, vor Energie scheinbar berstend, der weiß: Der 41-Jährige hat in den letzten Monaten alles getan hat, nur nicht gerastet.
Trainieren ist jedoch das eine, kämpfen das andere. Nicht ohne Grund gibt es im Boxen den Begriff „Ringrost“. Ringrost droht Boxern, die länger nicht im Ring gestanden und einen Kampf bestritten haben. Ringrost ist gefährlich. Tückisch. Man sieht ihn erst im Ring – wenn es zu spät ist. 17 Monate sind seit Klitschkos letztem Kampf vergangen, der bitteren Niederlage gegen Tyson Fury, dieser absolut enttäuschenden Vorstellung des Schwergewichts-Königs, der im November 2015 nicht nur seine drei WM-Titel verlor, sondern auch Ansehen einbüßte. Zweimal hat er sich für einen Revanche gegen den Skandal-Boxer vorbereitet, beide Male platzte der
Aus London berichtet NILS WEBER n.weber@mopo.de
Kampf. Glück im Unglück? „Die Pause hat mir gut getan“, sagt Klitschko voller Überzeugung. „Ich konnte mich richtig regenerieren, auch mental. Er verspricht für den Mega-Fight gegen den 14 Jahre jüngeren Joshua: „Klitschko reloaded!“
Sein Körper ist sein Kapital. Seit Jahren ar-
beitet der Modelathlet extrem professionell, beharrlich, akribisch an seiner Physis, lebt gewissenhaft, fast asketisch. Er hat damit Maßstäbe gesetzt, an denen sich auch Joshua orientiert.
„Für diesen Kampf haben wir in Sachen Beweglichkeit und Schnelligkeit noch mal eine Schippe drauf gelegt, alles ausgereizt“, verrät Aldo Vetere, seit Jahren Klitschkos Physiotherapeut, der MOPO. Nur Wladimirs Verlobte Hayden kennt seinen Körper besser. „Körperlich ist Wladimir in einer absoluten Top-Verfassung – mehr geht nicht.“Die RostGefahr bleibt, unsichtbar, nicht messbar in medizinischen Tests.
„Der sogenannte RingRost kann ein Problem für Klitschko werden“, sagt Dr. Michael Ehnert, renommierter Sportmediziner und BoxArzt aus Hamburg. „Sparring ist das eine, der Ernstfall das andere. Lange Kampfpausen sind problematisch, deshalb legt die ja auch kein Boxer freiwillig ein.“Allerdings ist Ehnert überzeugt, dass kaum
ein Boxer so gut dagegen gefeit ist wie Klitschko. „Wladimir hat unheimlich viel Erfahrung und er ist unglaublich fit, auch zwischen den Kämpfen, lässt sich nicht gehen - und das seit Jahren. Davon kann er jetzt profitieren.“
Das fortgeschrittene Alter des langjährigen Ring-Regenten sieht der Box-Doc ebenfalls nicht als Hürde. Zum einen, weil Klitschko ein absoluter Ausnahmeathlet sei, „und neueste Studien zeigen, dass die Reaktionsfähigkeit erst mit 39 Jahren den Zenit erreicht und nicht mit 20 oder 30“, berichtet Ehnert. Gute Nachrichten für alle Klitschko-Fans – aber keine Garantien.
Die große Frage bleibt. Klitschko stellt sie sich sogar selbst, denn auch er kennt die Antwort nicht. Noch nicht. „Bin ich eingerostet? Wir werden es im Ring sehen.“Zwischen den Seilen, auf dem leicht federnden Boden der Tatsachen.
Die Antwort wird schmerzhaft sein – für ihn selbst oder für Anthony Joshua.