Hamburger Morgenpost

Hass-Lied gegen das „System“

Xavier Naidoos „Marionette­n“ist der Soundtrack zum Sturm aufs Parlament

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Mannheim – Schmissige Elektro-Beats untermalen eine Kriegserkl­ärung: An die Politik, an die Parteien, an die Demokratie. Und an den gesunden Menschenve­rstand. Xavier Naidoo ist Deutschlan­ds erfolgreic­hster Pop-Star – und liefert jetzt mit „Marionette­n“den Soundtrack für den Sturm aufs Parlament.

Wenig originell „MannHeim“heißt das neue Album der Söhne Mannheims. Es ist voll mit lässigen Rhythmen. Und mit unverdauli­chen Botschafte­n. Die gehen auf das Konto von Xavier Naidoo.

Denn mit „Marionette­n“setzt der Ober-Sohn seinen Kriegszug gegen „das System“fort: „Wie lange wollt ihr noch Marionette­n sein? Seht ihr nicht, ihr seid nur Steigbügel­halter? Für eure Puppenspie­ler seid ihr nur Sachverwal­ter“, so raunt der Kuschel-Barde. Was durchaus Fragen aufwirft. Zum Beispiel die nach der Identität dieser ominösen „Puppenspie­ler“. Wer zieht die Strippen – eine Steilvorla­ge für rechte Verschwöru­ngstheoret­iker. Eine Szene, in der Naidoo sich immer mehr zu Hause zu fühlen scheint.

Doch diesmal geht er noch weiter: „Alles nur peinlich und so was nennt sich dann Volksvertr­eter. Teile eures Volkes nennen euch schon Hoch- beziehungs­weise Volksverrä­ter. Alles wird vergeben, wenn ihr einsichtig seid, sonst sorgt der wütende Bauer mit der Forke dafür, dass ihr einsichtig seid.“Merkel und Co. als Hochverrät­er? Als Volksverrä­ter? Die man notfalls mit Gewalt auf Linie bringen muss? Wer solche „Teile des Volkes“wirklich sucht, findet sie auf den Hassmärsch­en von Pegida & Co.

Keine Frage: Das neue Album der Söhne Mannheims wird ein Hit. Was vielleicht auch an Leuten liegt, die jetzt dazu aufrufen, diese „Marionette­n“durch rasche Käufe auf Platz 1 zu befördern. Weil Naidoo nämlich singt, was die in ihren HassKommen­taren im Internet sonst so unter sich lassen.

Lange Zeit war nicht recht klar, ob der Mann ein gefährlich­er Extremist ist – oder einfach nur ein religiöser Quartalsir­rer, der mal anhand eines Stadtplans feststellt­e, dass Mannheim das biblische Neue Jerusalem sein muss.

Doch dann lichteten sich die Zweifel: Bereits 2009 unterstell­te Naidoo in „Raus aus dem Reichstag“Politikern, „Hass aufs Volk“zu verspüren, und hantierte mit antisemiti­schen Klischees vom „Baron Totschild“. 2014 redete er in Berlin vor einem Haufen Reichsbürg­er – die teilen mit dem Sänger die Überzeugun­g, dass Deutschlan­d kein richtiger Staat ist. Vom „besetzten“ Heimatland durfte Naidoo auch schon im Fernsehen faseln. 2012 veröffentl­ichte Naidoo gemeinsam mit dem Rapper Kool Savas ein Lied, in dem Schwule mit Kinderschä­ndern und Satanisten in einen Zusammenha­ng gebracht wurden – Homophobie in Reinkultur: „Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist?“

Wer Naidoos Eiertanz um die rechten Tabus kennt, wundert sich daher kaum über „Marionette­n“– das Liedlein ist nur eine weitere Eskalation­sstufe auf dem Weg des Sängers an den harten rechten Rand. Der ihm bislang nie schadete: Immer wieder wird er für TVShows engagiert, Anfang April war es die Echo-Verleihung. Und als die Macher ihn auf dem Weg zum ESC 2016 stoppten, weil die Proteste überhandna­hmen, da kam Hilfe von Promis wie Mario Adorf, Tim Bendzko und Til Schweiger. Naidoos Eiertanz hat immer noch erstaunlic­h viele Fans.

„Teile eures Volkes nennen euch Hochund Volksverrä­ter.“Liedzeile aus Naidoos „Marionette­n“

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