Hamburger Morgenpost

Wer sind die Jungs, die im Verein für Zündstoff sorgen?

Sie nennen sich Hardcore-Fans – und nehmen doch in Kauf, dass sie dem HSV mit ihren Aktionen schaden: Ultras. Sie machen Stimmung – und oft auch Ärger

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Von OLAF WUNDER und LARS ALBRECHT „Diese Personen sind die Totengräbe­r der Fankultur.“ Christian Seifert, DFL-Boss „Die Leute sollen sich mal nicht so anstellen.“ Sven, ein HSV-Ultra

Der HSV im Abstiegska­mpf. Was die Mannschaft vier Spieltage vor dem Ende der Saison braucht – abgesehen von Toren und Punkten – sind Fans, die ihr bedingungs­los Unterstütz­ung geben. Ausgerechn­et in dieser Situation sorgt der sogenannte „Pyro-Wahnsinn“der Ultras f r Zoff. Für Minuten versank das Stadion am vorvergang­enen Sonnabend im Nebel. Das Spiel gegen Darmstadt wurde unterbroch­en. Wer die Menschen sind, die so etwas tun, was sie motiviert und wie es jetzt weitergeht – der große Ultra-Report in der MOPO am Sonntag.

Scharfe Worte wählt im Verlauf der Woche der Chef der Deutschen Fußball-Liga, Christian Seifert. Fans, die im Stadion Pyros zünden, nennt er „asozial“. „In Wahrheit sind diese Personen die Totengräbe­r der Fankultur, um die es ihnen angeblich geht.“Er verzichte lieber auf die „bildstarke­n Choreograf­ien“im Stadion, „wenn der Preis dafür Gewalt-Exzesse und Pyro sind“.

Und was sagen die Ultras des HSV dazu? Gleich zwei Gruppierun­gen gibt es: „Poptown“und „Castaways“(siehe Text unten). Mit solchen Hardcore-Fans ins Gespräch zu kommen, das schafft normalerwe­ise keiner. Gegenüber der MOPO am Sonntag hat jetzt einer sein Schweigen gebrochen. „Mal ehrlich“, sagt Sven (Name geändert), „Pyro sieht doch einfach geil aus. Da kann mir keiner etwas anderes erzählen.“Pyro putsche ihn regelrecht auf. „Ich habe dann noch mehr Bock, den HSV mit Gesängen nach vorne zu treiben.“

Vorhaltung­en, auch durch den Vorstand des eigenen Vereins, dass Pyrotechni­k gefährlich sei und sogar Menschen im Stadion verletzen könne, hält Sven für „Gerede“. „Die Gefahr ist gar nicht so groß. Noch nie ist etwas passiert“, meint er. Er findet: „Die Leute sollen sich mal nicht so anstellen. Die gehen doch auch zum Osterfeuer – da ist der Rauch genauso schlimm!“

Weder von Strafen für den Verein noch davon, selbst zivilrecht­lich verfolgt zu werden, lassen sich Ultras abschrecke­n. „Das ist uns bestenfall­s total egal“, sagt Sven herablasse­nd. Strafandro­hungen motivierte­n sogar noch. „Je größer der Aufschrei, desto größer die Lust, das durchzuzie­hen“, sagt er.

Über die Versuche des Vereins, durch stärkere Taschenkon­trollen zu verhindern, dass Pyrotechni­k mit ins Stadion kommt, lachen die Ultras nur. Sven meint: „Wo eine Feile versteckt werden kann, kann auch eine Fackel versteckt werden. In Schuhen. In der Unterwäsch­e. Das kann niemand kontrollie­ren.“

Der beste Beweis, dass Sicherheit­skontrolle­n versagen: das Heimspiel gegen Darmstadt 98 am 22. April. Das Stadion versank für Minuten im Pyro-Nebel, so dass das Spiel unterbroch­en werden musste. Nicht alle – auch nicht alle HSVAnhänge­r! – fanden das lustig: Rufe wie „Ihr Arschlöche­r!“oder „Wir sind Hamburger und ihr nicht!“gellten durchs Stadion.

Es war keineswegs der erste Zwischenfa­ll in dieser Saison: In den vergangene­n Monaten hatten HSVUltras schon fünf Mal gezündelt und dem Verein dadurch Geldstrafe­n von 60 000 Euro beschert.

Diesmal hat der Verein mit knallharte­n Sanktionen reagiert. Ein komplettes Materialve­rbot wurde verhängt. Das heißt: Choreograf­ien und Spruchbänd­er sind jetzt genauso untersagt wie Banner, Block- und Schwenkfah­nen.

Fragt sich nur, wie die Ultras darauf reagieren, wo doch bekannt ist, dass sie zu Trotz neigen. Daher ist die Anspannung vor dem heutigen Auswärtssp­iel gegen Augsburg (15.30 Uhr) groß.

Der Verein hofft sehr, dass alles ruhig bleibt. Andernfall­s könnte es für den HSV bitter werden. Im Raum stehen harte Sanktionen des DFB: Sollte die Nordtribün­e in dem für den Klassenerh­alt möglicherw­eise entscheide­nden Spiel gegen Wolfsburg am 20. Mai leer bleiben, dann wäre das so, als stünde das Team mit einem Spieler weniger auf dem Platz.

Denn es sind ja gerade die Ultras, die während eines Spiels für Atmosphäre im Stadion sorgen. Ihr „Capo“– so heißt der Vorsänger – ist eine der wichtigste­n Figuren im Stadion: Er heizt die Stimmung an, und das ist im Abstiegska­mpf wichtiger denn je.

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Immer mal wieder werden im Stadion auch Bengalisch­e Feuer und andere Pyros gezündet (Bild von 2015). Unten die Banner der Fan-Vereinigun­gen
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Auch die Castaways sind eine HSV-Ultra-Gruppe.

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