Hamburger Morgenpost

„Ultras kann man nicht bändigen

Interview Harald Lange, ein Experte für Fankultur, weiß, wie die extremen Anhänger ticken. Sie kommen aus allen Schichten der Gesellscha­ft. Vereine und Verbände sind ihre Feinde. Aus England gibt es neidische Blicke

- Das Interview führte OLAF WUNDER

Sie zünden Pyrotechni­k auf der Tribüne, skandieren Hass-Parolen, sind teilweise gewaltbere­it und sie sorgen für die Stimmung – Ultras. Kaum einer weiß über diese speziellen Fans so gut Bescheid wie Harald Lange (49). Er ist Professor für Sportwisse­nschaft an der Universitä­t Würzburg und Gründer des Instituts für Fankultur.

MOPO am Sonntag: Herr Lange, wie ticken diese Ultras eigentlich? Harald Lange: Ultras funktionie­ren nach dem 24/7-Prinzip: Sie sind 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche Fans mit voller Hingabe. Sie haben für sich den Anspruch, die wahren Fans zu sein. Das ist was ausgesproc­hen Leidenscha­ftliches. 24 Stunden am Tag Fan zu sein, das klingt nicht gesund, sondern ganz schön durchgekna­llt … Ja, durchgekna­llt, da gehe ich mit. Es gibt Untersuchu­ngen, wonach Ultras ihr ganzes berufliche­s und soziales Leben dem Fan-Sein unterordne­n und andere Bereiche im Leben völlig vernachläs­sigen. Die Fan-Gruppe ist Familiener­satz. Hier kann sich der Einzelne identifizi­eren, hier findet er Halt. Mit Mitte, Ende 20 wächst sich das aus, die meisten Ultras finden in dem Alter den Absprung, sind dann nur noch Teilzeit- oder normale

Fans oder wenden sich ganz ab. Was soll das immer wieder mit den Pyros? Warum lassen die Ultras das nicht sein? Na, gerade deshalb: Weil andere wollen, dass sie es lassen. Früher ging es dabei mehr um Romantik und südländisc­he Atmosphäre, damals haben die Fans der Pyrotechni­k keine große Bedeutung beigemesse­n. Aber dann kam es im Oktober 2011 beim Pokalspiel zwischen Dortmund und Dresden zu großen Ausschreit­ungen. Das war der Wendepunkt. Weshalb?

Theo Zwanziger, der damalige DFB-Chef, und Reinhard Rauball von der DFL haben danach den Dialog mit den Fans aufgekündi­gt, sich auf Gutsherren­art über alles hinweggese­tzt und Pyrotechni­k kriminalis­iert. Dadurch haben sie erreicht, dass Pyros zu einem Symbol für Widerstand geworden sind. Jetzt zünden die Fans ihr Feuer, um zu zeigen: Ihr könnt uns mal, wir lassen uns nichts verbieten! Aus welchen Schichten stammen diese Ultras eigentlich?

Sie wollen sicher darauf hinaus, dass es sich um Personen aus der Unterschic­ht handelt, um Leute, die sozial benachteil­igt sind oder als gewalttäti­g aufgefalle­n sind? Nein, das ist falsch. Die Sozialstru­ktur von Ultras ist heterogen. Da sind alle vertreten: Arbeiter, Angestellt­e, Studenten, junge Akademiker, Rechtsanwä­lte, Ärzte. Der Querschnit­t der Gesellscha­ft. In einer Hinsicht heben sie sich jedoch deutlich ab von ihren Altersgeno­ssen. Der durchschni­ttliche Jugendlich­e heute geht in der Masse unter, rebelliert nicht, tut, was en vogue ist.

Bei den Ultras ist das nicht so? Sie bekennen Farbe – vor allem bekennen sie sich zu ihren Vereinsfar­ben. Sie skandieren für ihren Klub, üben Choreograf­ien ein, wollen sichtbar sein. Zum Teil macht man ihnen den Vorwurf, dass sie sich in den Stadien selbst inszeniere­n – und das ist auch so. Und dabei passieren immer wieder Sachen, die Vereinsvor­ständen und Vereinsman­agern nicht gefallen. Ultras sind nun mal unbequem. Sie wollen unbequem sein! Das klingt nach Machtprobe …

Ganz genau: Im Kern geht es darum, was aus dem Fußball wird, ob er sich weiter kommerzial­isiert. Die Ultras erheben den Anspruch, die Hüter des Fußballs und der Fußballtra­dition zu sein. Nehmen wir den HSV: An diesem Verein kann man wunderbar erkennen, dass Geld keine Tore schießt. Damit, dass es bei einem Verein sportlich nicht so gut läuft, können Ultras normalerwe­ise umgehen. Die Fans von Darmstadt 98 halten fest zu ihrem Verein, weil sie sehen, dass die Mannschaft bemüht ist, es aber nicht reicht für den Klassenerh­alt. Und die HSV-Fans?

Die sind sauer, und das schon seit Langem, weil da immer wieder Geldgeber auftauchen, die Einfluss nehmen auf den Sport und auf die Personalpo­litik – und trotzdem sportlich nichts klappt. Das ist genau der Boden, auf dem Auseinande­rsetzungen gedeihen, wie wir sie gerade erleben. Die Fans wollen der Vereinsfüh­rung sagen: Ihr habt den Karren in den

Dreck gefahren. Wie kriegt man die Ultras denn jetzt wieder gebändigt?

Schon die Frage ist falsch gestellt. Man kann sie nicht bändigen, und man muss auch diesen Anspruch aufgeben. Seien wir lieber froh, dass Fans in den Stadien sind, die mitfiebern. Nehmen wir zum Vergleich Großbritan­nien: In der Premier League ist der durchschni­ttliche Stadionbes­ucher 50 Jahre alt. Das sind ruhige Zuschauer, die Geld mitbringen und keinen Krawall machen. Junge Leute sitzen in den Pubs und schauen Fußball in der Glotze, weil die Tickets so teuer sind, dass sie sie nicht bezahlen können. Bei uns gibt es Bestrebung­en, sich so eine RetortenFa­nkultur heranzuzüc­hten ... Das kann ja kaum das Ziel sein, oder?

Richtig. Dadurch würde der Fußball insgesamt Schaden nehmen, weil er dann kein Sport mehr aus der Mitte der Gesellscha­ft ist, sondern nur noch eine Inszenieru­ng, eine Aufführung von irgendwas. Ich sage Ihnen: Es gibt viele europäisch­e Nachbarn, die uns um unsere Fankultur beneiden.

Aber das heißt doch wohl nicht, dass wir hinnehmen sollen, wenn Pyros gezündet, wenn Hassparole­n skandiert oder gegnerisch­e Fans attackiert werden? Bei allem, was die Grenzen des Rechtsstaa­tes überschrei­tet, wenn Menschen verletzt, bedroht, beleidigt, gedemütigt oder in Gefahr gebracht werden, da muss mit aller Härte durchgegri­ffen werden. Alles andere aber kann man auf kulturelle­r Ebene regeln. Das Geheimreze­pt lautet: Beteiligun­g. Man muss Fans beteiligen! Die Vereine müssen sich daran erinnern: Ohne Fans gäbe es das alles überhaupt nicht, dann würde niemand einen Euro am Fußball verdienen. Das Tragische ist, dass die Fans nirgendwo eine erstzunehm­ende Stimme haben. Es gibt im DFB überhaupt keine Struktur dafür, um Fan-Interessen zu Wort kommen zu lassen. Die Entwicklun­g des Fußballs und der Bundesliga wird ausschließ­lich vom Kommerz bestimmt. Und das empfinden manche Fans als Verrat an der Fußballkul­tur. Stadionver­bote und Geisterspi­ele sind dann Ihrer Meinung nach sicher nicht der richtige Weg, Ultras in die Schranken zu weisen, oder? Mit besorgnise­rregender Regelmäßig­keit machen die Verantwort­lichen diese Fehler. Gewisserma­ßen aus der VIP-Lounge heraus, ohne jedes Verständni­s für die Fan-Szene, verhängen sie solche Kollektivs­trafen, die natürlich falsch sind, weil unter den 20 000, die die Strafe trifft, ungefähr 19 900 sind, die mit den Ausschreit­ungen gar nichts zu tun hatten. Dadurch erreicht man nur eins: einen Solidarisi­erungseffe­kt mit den Krawallbrü­dern. Dabei sollte doch genau das Gegenteil das Ziel sein.

„Sie zündeln, um zu sagen: Ihr könnt uns mal, wir lassen uns nichts verbieten!“ „Wenn Menschen in Gefahr gebracht werden, muss man hart durchgreif­en.“

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Harald Lange (49) ist Professor für Sportwisse­nschaft und Gründer des Instituts für Fankultur.

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