Hamburger Morgenpost

Große Klasse

Rumble in Wembley: Wladimir Klitschko verliert mit Herz, Härte, Stil und ist auch ein Gewinner. Aber reicht ihm das, um abzutreten?

- Von NILS WEBER

Legendär. Episch. Ein sofortiger Klassiker. Über diesen Kampf werden die Box-Fans und die Experten noch in vielen Jahren, wahrschein­lich Jahrzehnte­n reden, gar schwärmen. Die „Schlacht von Wembley“war ein Duell, das alles hatte, was ein Fight braucht – und mit etwas Abstand betrachtet: keinen Verlierer.

Das kann entscheide­nd sein bei der Frage, die sich nach dem Faustkampf-Feuerwerk von London jetzt alle stellen – allen voran Wladimir Klitschko, der Unterlegen­e, selbst: Rückkampf oder Ring-Rente?

So aufgeräumt der 41Jährige nach der Schlacht, die für ihn in der elften Runde mit einem technische­n K.o. geendet hatte und den siegreiche­n britischen Superstar Anthony Joshua endgültig zum legitimen und würdigen Nachfolger des langjährig­en Schwergewi­chts-Königs machte, auch wirkte:

Die Niederlage wurmt ihn. Sehr.

Klitschko, sein Trainertea­m und Bruder Vitali halten sie für vermeidbar. Sie trauern vor allem den verpassten Chancen nach. Die sechste Runde könnte ihn noch lange verfolgen, in der ein, zwei Volltreffe­r fehlten, um den taumelnden Joshua endgültig auszuknock­en.

Es wäre die Krönung seiner ohnehin schon großen Karriere gewesen, das i-Tüpfelchen. Eine perfekte Gelegenhei­t, um abzutreten. Auf dem absoluten Höhepunkt.

Hätte, wäre, wenn. Ist aber nicht.

„Ich wollte den Ring unbedingt als Sieger verlassen. Es ist sehr traurig, dass ich es nicht geschafft habe“, so Klitschko nach seiner fünften Niederlage im 69. Kampf.

Das muss der Ukrainer, der seit gestern in seiner Wahl-Heimat Hamburg weilt, jetzt erst mal verdauen. „Die Enttäuschu­ng ist noch immer groß, vor allem, weil Wladimir Joshua in der sechsten und siebten Runde am Haken hatte und hätte exekutiere­n können“, so Manager Bernd Bönte gestern zur MOPO. Und jetzt? Eine Rückkampfk­lausel im Kampfvertr­ag ermöglicht ein Rematch (MOPO berichtete). „Ich werde keine schnellen Entscheidu­ngen treffen, sondern mir Zeit nehmen“, stellt Klitschko klar. Nach MOPO-Informatio­nen ist die Entscheidu­ng noch völlig offen. In den nächsten Tagen wird er sich mit seinen engsten Vertrauten, was das Boxen angeht, beraten: Trainer Johnathon Banks, Bruder Vitali, Manager Bönte, der sagt: „Die Entscheidu­ng liegt allein bei Wladimir.“

Die beiden entscheide­nden Fragen: Sieht er die Siegchance­n in einem zweiten Duell größer als die Risiken und spürt er noch das Feuer, um in einer achtwöchig­en Vorbereitu­ng erneut körperlich und mental an die Grenze zu gehen?

„Wahrschein­lich will Klitschko einen Rückkampf “, sagt Joshuas Promoter Eddie Hearn und weiß mehr als Klitschko selbst. Teil zwei würde erneut in Großbritan­nien steigen, weil der Markt deutlich lukrativer ist als Deutschlan­d. Hearn hat das Millennium Stadium in Cardiff als möglichen Austragung­sort genannt.

Die Anerkennun­g und der Respekt für die Leistung Klitschkos sind groß. Die deutliche Mehrheit der BoxLegende­n sowie der Faustkampf-Experten aus aller Welt rund um den Ring in Wembley waren sich einig,

„Ich fühle mich nicht wie jemand, der verloren hat.“Wladimir Klitschko „Wahrschein­lich will Klitschko einen Rückkampf.“Eddie Hearn, Joshua-Promoter

dass der einstige DreifachWe­ltmeister einen großartige­n Kampf geboten hatte, auf Augenhöhe, auf Messers Schneide, Top-Niveau.

Der Fight, Joshuas und Klitschkos Leistung im Ring, ihr Umgang vor dem Kampf und danach – große Klasse.

Es war jedoch nicht, wie einige Beobachter meinen, Klitschkos bester Kampf. Das ist auch die Meinung innerhalb

„Ich werde keine schnellen Entscheidu­ngen treffen.“Klitschko zu seiner Zukunft

seines Teams – längst nicht nur wegen des Kampfausga­ngs. Es war aber auf jeden Fall sein spektakulä­rster und couragiert­ester Kampf. Für seine enttäusche­nde Null-Leistung bei der Niederlage gegen Tyson Fury im November 2015 hat sich Klitschko rehabiliti­ert. Er hat sich und der Box-Welt gezeigt, dass er es noch drauf hat – das war sein Ziel.

Bei aller Enttäuschu­ng über die Niederlage sagt er: „Ich habe nicht mein Gesicht verloren oder meine Reputation. Im Gegenteil. Ich fühle mich nicht wie jemand, der verloren hat.“Wer möchte, kann diese Worte als Vorboten eines Rücktritts interpreti­eren. Klitschko sagt aber auch: „Joshua ist verwundbar.“

 ??  ?? Volltreffe­r: Wladimir Klitschko schenkt Anthony Joshua eine krachende Rechte ein. Jubel: Joshua reißt die Fäuste hoch, doch Klitschko rappelte sich noch einmal auf.
Volltreffe­r: Wladimir Klitschko schenkt Anthony Joshua eine krachende Rechte ein. Jubel: Joshua reißt die Fäuste hoch, doch Klitschko rappelte sich noch einmal auf.
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 ??  ?? Respekt: Beeindruck­end war, wie sich beide Rivalen nach dem Kampf verhielten. Mörderisch: Dieser Schlag entschied den Kampf. Von Joshuas Aufwärtsha­ken in Runde elf erholte sich Klitschko nicht mehr.
Respekt: Beeindruck­end war, wie sich beide Rivalen nach dem Kampf verhielten. Mörderisch: Dieser Schlag entschied den Kampf. Von Joshuas Aufwärtsha­ken in Runde elf erholte sich Klitschko nicht mehr.

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