Große Klasse
Rumble in Wembley: Wladimir Klitschko verliert mit Herz, Härte, Stil und ist auch ein Gewinner. Aber reicht ihm das, um abzutreten?
Legendär. Episch. Ein sofortiger Klassiker. Über diesen Kampf werden die Box-Fans und die Experten noch in vielen Jahren, wahrscheinlich Jahrzehnten reden, gar schwärmen. Die „Schlacht von Wembley“war ein Duell, das alles hatte, was ein Fight braucht – und mit etwas Abstand betrachtet: keinen Verlierer.
Das kann entscheidend sein bei der Frage, die sich nach dem Faustkampf-Feuerwerk von London jetzt alle stellen – allen voran Wladimir Klitschko, der Unterlegene, selbst: Rückkampf oder Ring-Rente?
So aufgeräumt der 41Jährige nach der Schlacht, die für ihn in der elften Runde mit einem technischen K.o. geendet hatte und den siegreichen britischen Superstar Anthony Joshua endgültig zum legitimen und würdigen Nachfolger des langjährigen Schwergewichts-Königs machte, auch wirkte:
Die Niederlage wurmt ihn. Sehr.
Klitschko, sein Trainerteam und Bruder Vitali halten sie für vermeidbar. Sie trauern vor allem den verpassten Chancen nach. Die sechste Runde könnte ihn noch lange verfolgen, in der ein, zwei Volltreffer fehlten, um den taumelnden Joshua endgültig auszuknocken.
Es wäre die Krönung seiner ohnehin schon großen Karriere gewesen, das i-Tüpfelchen. Eine perfekte Gelegenheit, um abzutreten. Auf dem absoluten Höhepunkt.
Hätte, wäre, wenn. Ist aber nicht.
„Ich wollte den Ring unbedingt als Sieger verlassen. Es ist sehr traurig, dass ich es nicht geschafft habe“, so Klitschko nach seiner fünften Niederlage im 69. Kampf.
Das muss der Ukrainer, der seit gestern in seiner Wahl-Heimat Hamburg weilt, jetzt erst mal verdauen. „Die Enttäuschung ist noch immer groß, vor allem, weil Wladimir Joshua in der sechsten und siebten Runde am Haken hatte und hätte exekutieren können“, so Manager Bernd Bönte gestern zur MOPO. Und jetzt? Eine Rückkampfklausel im Kampfvertrag ermöglicht ein Rematch (MOPO berichtete). „Ich werde keine schnellen Entscheidungen treffen, sondern mir Zeit nehmen“, stellt Klitschko klar. Nach MOPO-Informationen ist die Entscheidung noch völlig offen. In den nächsten Tagen wird er sich mit seinen engsten Vertrauten, was das Boxen angeht, beraten: Trainer Johnathon Banks, Bruder Vitali, Manager Bönte, der sagt: „Die Entscheidung liegt allein bei Wladimir.“
Die beiden entscheidenden Fragen: Sieht er die Siegchancen in einem zweiten Duell größer als die Risiken und spürt er noch das Feuer, um in einer achtwöchigen Vorbereitung erneut körperlich und mental an die Grenze zu gehen?
„Wahrscheinlich will Klitschko einen Rückkampf “, sagt Joshuas Promoter Eddie Hearn und weiß mehr als Klitschko selbst. Teil zwei würde erneut in Großbritannien steigen, weil der Markt deutlich lukrativer ist als Deutschland. Hearn hat das Millennium Stadium in Cardiff als möglichen Austragungsort genannt.
Die Anerkennung und der Respekt für die Leistung Klitschkos sind groß. Die deutliche Mehrheit der BoxLegenden sowie der Faustkampf-Experten aus aller Welt rund um den Ring in Wembley waren sich einig,
„Ich fühle mich nicht wie jemand, der verloren hat.“Wladimir Klitschko „Wahrscheinlich will Klitschko einen Rückkampf.“Eddie Hearn, Joshua-Promoter
dass der einstige DreifachWeltmeister einen großartigen Kampf geboten hatte, auf Augenhöhe, auf Messers Schneide, Top-Niveau.
Der Fight, Joshuas und Klitschkos Leistung im Ring, ihr Umgang vor dem Kampf und danach – große Klasse.
Es war jedoch nicht, wie einige Beobachter meinen, Klitschkos bester Kampf. Das ist auch die Meinung innerhalb
„Ich werde keine schnellen Entscheidungen treffen.“Klitschko zu seiner Zukunft
seines Teams – längst nicht nur wegen des Kampfausgangs. Es war aber auf jeden Fall sein spektakulärster und couragiertester Kampf. Für seine enttäuschende Null-Leistung bei der Niederlage gegen Tyson Fury im November 2015 hat sich Klitschko rehabilitiert. Er hat sich und der Box-Welt gezeigt, dass er es noch drauf hat – das war sein Ziel.
Bei aller Enttäuschung über die Niederlage sagt er: „Ich habe nicht mein Gesicht verloren oder meine Reputation. Im Gegenteil. Ich fühle mich nicht wie jemand, der verloren hat.“Wer möchte, kann diese Worte als Vorboten eines Rücktritts interpretieren. Klitschko sagt aber auch: „Joshua ist verwundbar.“