St. Pauli, Herr Hagen?
Der neue Chef der weltberühmten Davidwache über Dealer, Diebe und die Hells Angels
Donnerstag, 11. Mai 2017 Es ist mit 0,7 Quadratkilometern das kleinste Polizeirevier Deutschlands – doch 2016 gab es hier 20146 Straftaten. Die Davidwache auf dem Kiez ist weltberühmt. Seit März ist Ansgar Hagen (49) hier Chef. Die MOPO sprach mit dem Polizeioberrat über „sein“St. Pauli, die Dealer vor den Hafenstraßen-Häusern und die Hells Angels.
MOPO: Wo brennt’s aktuell in Ihrem Revier besonders? Ansgar Hagen:
In der Bekämpfung der Gewaltkriminalität – das ist ein Schwerpunkt unserer Maßnahmen. Aber auch Taschendiebstahl und ähnliche Eigentumsdelikte beschäftigen uns. Denn nicht selten eskalieren solche Taten – nämlich dann, wenn das Opfer die Tat bemerkt und sich wehrt. So kann aus einem Diebstahl schnell ein Raubdelikt werden. Das ist klar ein Brennpunkt.
Haben die Diebe es immer noch vor allem auf Smartphones abgesehen?
Die sind weit vorne, ja, aber die Täter haben es auch auf Geldbörsen und Uhren abgesehen.
Wer sind die Täter?
Auf St. Pauli sind viele Menschen unterschiedlichster Nationalitäten unterwegs. So ist das auch bei den Tätern.
Zum Thema Gewalt: Wirkt das Flaschen-Verbot auf dem Kiez?
Ja, das wirkt. Wir haben weniger Delikte, bei denen Flaschen eingesetzt wurden.
Würde Ihnen mehr Videoüberwachung helfen, Straftaten zu verhindern?
Videoüberwachung ist ein wichtiger Bestandteil bei der möglichen Verhinderung von Straftaten, ja. Noch wichtiger für mich ist aber die Präsenz von Polizeibeamten.
Die Attacken auf Frauen zum Jahreswechsel
2015/16 sorgten für Entsetzen in der Stadt. Welche Schlüsse habe Sie aus den Vorfällen gezogen? Wir sahen uns damals erstmals so einem Phänomen in einer solchen Dimension ausgesetzt. Heute würden wir bei ähnlichen Lagen starke uniformierte Präsenz zeigen, relevante Klientel frühzeitig ansprechen und Platzverweise erteilen. So haben wir es Silvester 2016 erfolgreich gemacht.
Welche Erfahrungen haben Sie beim Einsatz der von Polizisten sichtbar getragenen Kameras gemacht?
Gute – allerdings mit Einschränkungen. Wenn Betroffene noch einigermaßen nüchtern sind, registrieren sie die Kameras. Dann können die Body-Cams deeskalierend wirken – die Situation entspannt sich. Bei Volltrunkenen sieht das oft anders aus. Da trägt die BodyCam vor allem zur Verhinderung von Solidarisierungshandlungen bei Kontrollen bei.
Eine Zeit lang waren ja auch NeppLokale ein großes Thema, mit dem sich die Polizei auf St. Pauli beschäftigen musste. Wie sieht es da aktuell aus?
Es gibt sicher eine gewisse Dunkelziffer, aber die Zahl der Delikte ist aktuell eher gering.
Trotz Ihres Dauereinsatzes gehen die Dealer auf dem Kiez offen ihrem „Handwerk“nach – ist das für Sie nicht eine Sisyphusarbeit, die zu vertreiben oder festzunehmen?
Die Situation ist aus polizeilicher Sicht nicht akzeptabel. Die Personen stehen an der Hafenstraße, an der Seilerstraße oder auch am S-Bahnhof Reeperbahn. Ich selbst habe auf dem Weg zum Dienst schon beobachtet, wie Kinder zusammen mit ihren Eltern auf dem Weg zur Schule an den Dealern vorbei mussten. Das können wir nicht tolerieren, wir reagieren täglich darauf.
Wie ist die Dealer-Situation den Hafenstraßen-Häusern?
Die Anwohner beobachten unserer Einschreiten kritisch. Es gibt auf St. Pauli keine rechtsfreien Räume. Auf erkannte Straftäter werden wir weiterhin differenziert, offen und damit auch transparent reagieren. Es geht darum, Verdächtige zu überprüfen, die uns einen Anlass geben – unabhängig von Nationalität oder Hautfarbe.
Welche Rolle spielen Angels auf St. Pauli? die an Hells
Wir sind in einem ständigen Austausch mit den Beamten des Sachgebiets „Rocker“des Landeskriminalamts und schreiten bei Verstößen gegen die Rechtsordnung konsequent ein.
Ist es im Rotlicht-Milieu aktuell wirklich so ruhig, wie es scheint?
Oberflächlich betrachtet wirkt das so. Es ist ja auch tatsächlich in jüngster Zeit zu keinen aufsehenerregenden Taten gekommen – Gott sei Dank. Aber wir bleiben sehr aufmerksam am Ball.
Ist Davidwachen-Chef eigentlich ein Traumjob?
Ja. Der Stadtteil ist sehr attraktiv. Ihn auf das Rotlichtund Vergnügungsviertel zu reduzieren, wäre zu kurz gedacht. Ich komme aus einer Kleinstadt in Niedersachsen und war als junger Polizist auf St. Pauli. Ich habe hier sehr früh etwas Dörfliches, Nachbarschaftliches gesehen. Etwas Ehrliches. Inzwischen hat sich St. Pauli auch außerhalb der Vergnügungsmeile etabliert. Aber die bunte Mischung ist geblieben. Und die ist das Salz in der Suppe. Das Interview führte
THOMAS HIRSCHBIEGEL