Hamburger Morgenpost

So wollte das LKA den Skandal vertuschen

Oberkommis­sar manipulier­te Bericht. Ermittlung­en wegen Urkunden-Fälschung

- Von CHRISTIAN WIERMER

Berlin – Genau 60 Sekunden dauert das Gespräch, das der spätere Weihnachts­markt-Killer Anis Amri am Abend des 15. Mai vorigen Jahres mit seinem Freund Karim H., genannt „Montassir“, führt. Er bete um Schutz vor dem bösen Auge, sagt Amri zu „Montassir“, als er in der Nähe eines Parks in Berlin in sein Handy spricht. „Sag so etwas nicht“, weist ihn „Montassir“zurecht. „Ich will (…), dass du ein Wolf bist. Du sollst Runden drehen um jede Kneipe (…), ich meine, so wie ich es dir erklärt habe.“

Solche Dialoge gibt es immer wieder in diesen Monaten. Stets hört das Landeskrim­inalamt (LKA) Berlin mit. Die Ermittler verstehen die verschlüss­elte Sprache sofort. Es geht um kriminelle Drogengesc­häfte. Darum, mit Amphetamin­en und Kokain das schnelle Geld zu machen. Mal soll Anis Amri in ein Café gehen, dort einer Person „Dings in die Hand drücken, das Geld in die Hand nehmen, und fertig ist die Sache“. Mal geht es um eine „englische Gruppe, die Blaue haben will“, mal um „graues Haar“.

Am 1. November erstellen die Beamten im LKA im polizeiint­ernen System „Poliks“einen Auswertebe­richt über Amris Telefonübe­rwachung, ein Dutzend Seiten lang. Der Vorwurf: „gewerbs- und bandenmäßi­ger Handel“mit Betäubungs­mitteln.

Ein besonders schwerer Fall also, „Freiheitss­trafe nicht unter einem Jahr“, wie es im Gesetz heißt. Der Berliner Innensenat­or Andreas Geisel (SPD): „Nach Ansicht von Experten hätten diese Erkenntnis­se ausgereich­t, um bei der Staatsanwa­ltschaft einen Haftbefehl zu erwirken.“Kurzum: Der Anschlag vom 19. Dezember 2016 hätte wohl auch durch Berliner Behörden verhindert werden können. Der Bericht sei jedoch im PolizeiSys­tem hängen geblieben, so Senator Geisel. Es gehe daher um den Vorwurf der „Strafverei­telung zugunsten von Anis Amri“– Geisel ließ Strafanzei­ge gegen LKAMitarbe­iter erstatten.

Nicht nur das: Geisel äußerte zudem den Verdacht, dass Dokumente manipulier­t wurden. So sollen einen Monat nach dem Anschlag Polizisten des LKA den Auswertebe­richt nachträgli­ch verfälscht und auf den 1. November rückdatier­t haben. Geisel strengt Ermittlung­en wegen Urkundenfä­lschung an – ein beispiello­ser Vorgang.

Fakt ist: Der Auswertebe­richt wurde nachträgli­ch

deutlich verkürzt, der Drogen-Vorwurf gegen Amri so abgeschwäc­ht, dass es für eine Verhaftung keine hinreichen­den Gründe mehr gab. In dem vom jungen Kriminalob­erkommissa­r Martin N. (Name geändert) unterzeich­neten Bericht ist plötzlich nur noch von „Kleinsthan­del mit Betäubungs­mitteln“die Rede.

Wollte der LKA-Kommissar so seine verpasste Chance zur Verhaftung des Terroriste­n vertuschen? Mehrere Beamte des LKA-Staatsschu­tzes müssen mit harten Ermittlung­en rechnen.

Aufgefloge­n ist die Sache nur, weil der vom Senat eingesetzt­e Sonderermi­ttler Bruno Jost Widersprüc­he erkannte und im Polizei-System „Poliks“nachschaue­n ließ. Dort fand sich schließlic­h der Ursprungsv­ermerk.

 ??  ?? Das gefälschte Dokument: LKA-Beamte haben den Bericht rückdatier­t (oberer roter Kreis). Die Vorwürfe gegen Amri wurden abgeschwäc­ht (unterer Kreis), um die Verhaftung­spanne zu vertuschen.
Das gefälschte Dokument: LKA-Beamte haben den Bericht rückdatier­t (oberer roter Kreis). Die Vorwürfe gegen Amri wurden abgeschwäc­ht (unterer Kreis), um die Verhaftung­spanne zu vertuschen.
 ??  ?? Anis Amri, von einer Überwachun­gskamera aufgenomme­n
Anis Amri, von einer Überwachun­gskamera aufgenomme­n

Newspapers in German

Newspapers from Germany