So wollte das LKA den Skandal vertuschen
Oberkommissar manipulierte Bericht. Ermittlungen wegen Urkunden-Fälschung
Berlin – Genau 60 Sekunden dauert das Gespräch, das der spätere Weihnachtsmarkt-Killer Anis Amri am Abend des 15. Mai vorigen Jahres mit seinem Freund Karim H., genannt „Montassir“, führt. Er bete um Schutz vor dem bösen Auge, sagt Amri zu „Montassir“, als er in der Nähe eines Parks in Berlin in sein Handy spricht. „Sag so etwas nicht“, weist ihn „Montassir“zurecht. „Ich will (…), dass du ein Wolf bist. Du sollst Runden drehen um jede Kneipe (…), ich meine, so wie ich es dir erklärt habe.“
Solche Dialoge gibt es immer wieder in diesen Monaten. Stets hört das Landeskriminalamt (LKA) Berlin mit. Die Ermittler verstehen die verschlüsselte Sprache sofort. Es geht um kriminelle Drogengeschäfte. Darum, mit Amphetaminen und Kokain das schnelle Geld zu machen. Mal soll Anis Amri in ein Café gehen, dort einer Person „Dings in die Hand drücken, das Geld in die Hand nehmen, und fertig ist die Sache“. Mal geht es um eine „englische Gruppe, die Blaue haben will“, mal um „graues Haar“.
Am 1. November erstellen die Beamten im LKA im polizeiinternen System „Poliks“einen Auswertebericht über Amris Telefonüberwachung, ein Dutzend Seiten lang. Der Vorwurf: „gewerbs- und bandenmäßiger Handel“mit Betäubungsmitteln.
Ein besonders schwerer Fall also, „Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr“, wie es im Gesetz heißt. Der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD): „Nach Ansicht von Experten hätten diese Erkenntnisse ausgereicht, um bei der Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl zu erwirken.“Kurzum: Der Anschlag vom 19. Dezember 2016 hätte wohl auch durch Berliner Behörden verhindert werden können. Der Bericht sei jedoch im PolizeiSystem hängen geblieben, so Senator Geisel. Es gehe daher um den Vorwurf der „Strafvereitelung zugunsten von Anis Amri“– Geisel ließ Strafanzeige gegen LKAMitarbeiter erstatten.
Nicht nur das: Geisel äußerte zudem den Verdacht, dass Dokumente manipuliert wurden. So sollen einen Monat nach dem Anschlag Polizisten des LKA den Auswertebericht nachträglich verfälscht und auf den 1. November rückdatiert haben. Geisel strengt Ermittlungen wegen Urkundenfälschung an – ein beispielloser Vorgang.
Fakt ist: Der Auswertebericht wurde nachträglich
deutlich verkürzt, der Drogen-Vorwurf gegen Amri so abgeschwächt, dass es für eine Verhaftung keine hinreichenden Gründe mehr gab. In dem vom jungen Kriminaloberkommissar Martin N. (Name geändert) unterzeichneten Bericht ist plötzlich nur noch von „Kleinsthandel mit Betäubungsmitteln“die Rede.
Wollte der LKA-Kommissar so seine verpasste Chance zur Verhaftung des Terroristen vertuschen? Mehrere Beamte des LKA-Staatsschutzes müssen mit harten Ermittlungen rechnen.
Aufgeflogen ist die Sache nur, weil der vom Senat eingesetzte Sonderermittler Bruno Jost Widersprüche erkannte und im Polizei-System „Poliks“nachschauen ließ. Dort fand sich schließlich der Ursprungsvermerk.