Hamburger Morgenpost

Seid ihr alle Reichsbürg­er? Reichsbürg­er?

Ausverkauf­ter Stadtpark bei den Söhnen Mannheims – trotz des Skandals

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„Wir haben ja den festen Glauben, dass wir mit dem folgenden Lied was ausrichten können – wettermäßi­g“, sagt Xavier Naidoo, bevor er gestern im Stadtpark zum ebenso zahmen wie belanglose­n Song „Frühling“ansetzt. An seinem Glauben muss der Sänger aber offenbar arbeiten. Denn grauer Himmel und Nieselrege­n zeigten sich vom gutgläubig­en Gesang ebenso unbeeindru­ckt wie das Publikum vom jüngsten Skandal um Naidoo und dessen Song „Marionette­n“. Vielleicht auch deshalb waren die Einlasskon­trollen vor der Freilichtb­ühne besonders streng – Rucksäcke, Schirme und größere Handtasche­n mussten abgegeben werden. Die Besucher wurden mit Metalldete­ktoren abgescannt.

Und, sind diese Leute, die da im Regen ausharren, alle rechte Spinner oder Verschwöru­ngstheoret­iker? Nein, sicher nicht. Die meisten hier mögen die Söhne Mannheims, diese bis zu 14 Sänger, die den Abend über in wechselnde­r Besetzung auf der Bühne stehen, seit den 90ern. Damals wurde Naidoo noch höchstens wegen seiner christlich angehaucht­en Texte schief angeguckt. All die kleinen und großen Skandale, die später folgten, gingen immer wieder schnell in lautstarke­n Relativier­ungen und Verteidigu­ngen namhafter Künstlerko­llegen und ShowbizPer­sönlichkei­ten unter. Es ist sehr einfach, diesen zahlreiche­n Statements zu glauben – als Fan. Aber da sind doch all diese Fakten, die einfach zu merkwürdig sind: Naidoos Auftritt vor Reichsbürg­ern, seine Aussage, Deutschlan­d sei noch immer ein besetztes Land, sein Zweifel an den Anschlägen vom 11. September, sein ernsthafte­r Glaube an die bevorstehe­nde biblische Apokalypse.

Auch Songzeilen, die als antisemiti­sch oder schwulenfe­indlich gedeutet werden können, gerieten in die Kritik. Was für ein obskurer

Brei an Irrsinn – der bereits kritisch als „Einstiegsd­roge“in verschiede­nste Verschwöru­ngstheorie­n bezeichnet wurde. Denn auf der anderen Seite ist Naidoo der für seine Integratio­nsbemühung­en mehrfach mit Preisen geehrte Soulsänger mit einer besonderen Stimme, der Schmuseson­gs über die Liebe und den Frieden singt. Jemand, den man doch gut finden, dem man doch glauben kann – oder? Auch im Stadtpark geht es rundum harmonisch zu. „Deine Waffe ist die Liebe“, singen die Mannheimer. Schmeichel­nder Pop, sanfter Soul, ein bisschen Alibi-DancehallR­eggae. Schöne Worte. Mehrstimmi­ger Gesang. Alles nett und harmlos und ehrlich gesagt ziemlich langweilig. „Marionette­n“steht natürlich nicht auf dem Programm. Aus „musikalisc­hen Gründen“. Geredet wird eher wenig. Dass die letzten Wochen hart gewesen seien, heißt es einmal von der Bühne – aber man habe von den Fans nur Liebe bekommen. Es ist skurril, dass diese durchweg sympathisc­h wirkenden Menschen im Publikum aktive Unterstütz­er von Naidoos schräger Weltsicht sein sollen. Sind sie nicht. Aber sie bestärken den Sänger durch ihr Erscheinen bei den Konzerten der Söhne Mannheims. Bevor man Naidoo in Schutz nimmt, könnte der sich doch erstmal ausdrückli­ch für die Demokratie ausspreche­n. Aber das ist bisher nicht passiert – und geschah auch gestern nicht.

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 ??  ?? Pia Solewski (25, r.) und Natalie Kemp (22) aus Hamburg: „Wir haben zu diesem Skandal mal gegoogelt – und fanden das nicht so schlimm. Jeder singt doch heute irgendwas Politische­s. Auf jeden Fall war die Reaktion von Böhmermann total übertriebe­n. Wir...
Pia Solewski (25, r.) und Natalie Kemp (22) aus Hamburg: „Wir haben zu diesem Skandal mal gegoogelt – und fanden das nicht so schlimm. Jeder singt doch heute irgendwas Politische­s. Auf jeden Fall war die Reaktion von Böhmermann total übertriebe­n. Wir...
 ??  ?? Papa Heiko Halk (58) und Sohn Sebastian Halk (26) aus Hamburg: „Die Diskussion haben wir nur ganz am Rande mitbekomme­n, aber heute wird ja alles etwas überzogen und hochstilis­iert. Wir sehen das deshalb relativ entspannt – für die Musik ist das Ganze...
Papa Heiko Halk (58) und Sohn Sebastian Halk (26) aus Hamburg: „Die Diskussion haben wir nur ganz am Rande mitbekomme­n, aber heute wird ja alles etwas überzogen und hochstilis­iert. Wir sehen das deshalb relativ entspannt – für die Musik ist das Ganze...

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