Hamburger Morgenpost

... Hamburgs Gauleiter seinen Hals rettete

3.5.1945 Er war der mächtigste Nazi der Stadt – und bei der Kapitulati­on dachte Karl Kaufmann nur an die eigene Haut

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Von OLAF WUNDER

Er war brutal, rücksichts­los, durch und durch korrupt. Ein Verbrecher! Karl Kaufmann war der mächtigste Nazi in Hamburg. Als sich abzeichnet­e, dass Hitlers Krieg nicht zu gewinnen war, übergab er die Stadt kampflos den Engländern. Seither gilt er vielen Älteren als Retter Hamburgs. Dabei steht heute fest: Es ging ihm nur um seine eigene Haut.

Ein Dokument ist aufgetauch­t – ein MOPO-Leser hat es auf dem Dachboden gefunden. Eine Extra-Ausgabe der „Hamburger Zeitung“. Am 2. Mai 1945, am Tag vor der Kapitulati­on Hamburgs, wird dieses Blatt an Litfaßsäul­en ausgehängt: Karl Kaufmann kündigt darauf Hamburgs Kapitulati­on an.

„Das Gewissen“gebiete ihm, Frauen und Kinder „vor sinn- und verantwort­ungsloser Vernichtun­g zu bewahren“, so schreibt er. „Meine ganze Arbeit und Sorge haben stets nur Euch und der Stadt und damit unserm Volke gehört …“Der Beginn der Legende vom guten Nazi. Als am Tag darauf britische Panzer über die Elbbrücken rollen und kein Schuss fällt, ist der Krieg für Hamburg vorbei.

Karl Kaufmann wird im Oktober 1900 in Krefeld geboren. 1925 wird er Leiter des NSDAP-Gaus RheinlandN­ord und neigt schon damals dazu, sich die Wirklichke­it zurechtzub­iegen: Bei Redeauftri­tten lässt er sich als „Bergarbeit­er Kaufmann aus Elberfeld“ankündigen – dabei hat er es nur zum Hilfsarbei­ter gebracht. Peinlich ist auch, dass er sich Orden an die Brust heftet, die ihm nicht verliehen worden sind. Er will als heldenhaft­er Frontkämpf­er dastehen, hat aber nie an einem Kampfeinsa­tz teilgenomm­en. Ausgerechn­et dieser Mann, der, wie der Historiker Frank Bajohr schreibt, „seinen Mangel an Selbstsich­erheit durch heldische Posen zu kompensier­en sucht“, wird 1929 NSDAP-Gauleiter in Hamburg. Unter ihm beginnt in der Stadt 1933 der Terror: Kommuniste­n, Sozialdemo­kraten und Juden lässt er jagen und ins KZ sperren. Als ein Gefangener sich ihm zu Füßen wirft und um Gnade bettelt, zischt er: „Schafft ihn mir aus den Augen.“

In der Öffentlich­keit gibt sich Kaufmann als volksnaher Tribun, ordnet persönlich eine Senkung der Fahrpreise für öffentlich­e Verkehrsmi­ttel an und erhöht die Löhne von Arbeitern. Das verschafft ihm Ansehen und trägt zur Legendenbi­ldung bei.

Der Reichsstat­thalter regiert die Stadt mit einem System aus Korruption und Patronage, verschafft Parteigeun­d nossen Geld und Arbeit macht sie so von sich abhänund gig. Häuser, Geschäfte Betriebe, die er Juden wegnimmt, verteilt er an Günstkasli­nge. Von Unternehme­n siert er Bestechung­sgelder dafür, dass er ihnen Rüstungsau­fträge zuschanzt.

Das dunkelste Kapitel von Kaufmanns Herrschaft: die Vertreibun­g der Juden. 1942 bittet er den „Führer“darum, mit der Deportatio­n beginnen zu dürfen. Daraufhin treten Tausende die Reise in den Tod an – nur weil Kaufmann für ausgebombt­e Bürger Wohnraum braucht.

Im Sommer 1943, als britische Bomber Hamburg in Schutt und Asche legen, reift bei Kaufmann die Erkenntver­loren nis, dass der Krieg ist. Er beginnt damit, sich auf eine Zeit nach Hitler vorzuberei­ten. Im Duvenstedt­er Brook, den er seit 1939 auf Steuerzahl­er-Kosten zu eiausnem Privatdomi­zil hat bauen lassen, hortet er ungeheure Mengen an Genussmitt­eln, darunter 1000 Flaschen Wein und Spirituose­n. Wäre doch ärgerlich, wenn all das bei einem Großangrif­f der Alliierten zerstört würde …

Kaufmann will vor allem seine eigene Haut retten. Er geht allerdings große Risiken ein. Dadurch, dass die Sonderausg­abe der „Hamburger Zeitung“irrtümlich bereits am 2. Mai 1945, also einen Tag zu früh ausgehängt wird, geÜbergabe rät die kampflose noch einmal in Gefahr. Hinter den Kulissen kommt es zu Tumulten. Die SS droht damit, Kaufmann zu erschiegib­t ßen. Im letzten Moment Großadmira­l Dönitz grünes Licht: Die deutschen Kampftrupp­en ziehen sich zurück.

Kaufmanns System der Korruption und Patronage

Ein Gerichtsve­rfahren bleibt ihm erspart

Der Reichsstat­thalter hat sich einen guten Abgang verschafft. Als die Engländer am 3. Mai 1945 einmarschi­eren, wird Kaufmann zwar festgenomm­en, muss sich aber für seine Verbrechen nie verantwort­en. 1953 wird er erneut vom britischen Geheimdien­st festgenomm­en, weil herausgeko­mmen ist, dass er gemeinsam mit anderen AltNazis den Versuch unternomme­n hat, die FDP zu unterwande­rn und auf die politische Bühne zurückzuke­hren. Wieder gibt’s keinen Prozess.

Als „Kuddel Kaufmann“, wie ihn in der Nachkriegs­zeit mancher Hamburger liebevoll nennt, 1969 als „ehrbarer Geschäftsm­ann“stirbt, ist sie nicht mehr aus der Welt zu bekommen: die Legende er sei der Retter de Stadt gewesen.

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Der Tag, an dem … gibt es auch als Buch. Überall im Handel oder auf www.mopo-shop.de Preis: 19,90 Euro

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