Wie die Wiedervereinigung
1989 hatte der Kanzler abgewirtschaftet, konnte nur knapp einen Putsch in der CDU verhindern
Berlin – Jeder, besser fast jeder Kanzler fand in seiner Amtszeit so etwas wie seine „historische Mission“: Bei Konrad Adenauer war es die Westintegration, Willy Brandt „erfand“die Ostpolitik und Helmut Kohl war der „Kanzler der Einheit“. Ein historischer Glücksfall, denn in den ersten sieben Jahren seiner Amtszeit, also zwischen 1982 und Herbst 1989, galt Kohls Augenmerk vor allem Europa. Einst ein scharfer Kritiker von Willy Brandts Ostpolitik schwenkte Kohl als Chef im Bonner Kanzleramt jedoch schnell auf die Linie seiner beiden SPD-Vorgänger ein. Gipfel dieser Realpolitik: Im September 1987 empfing der Konservative den SED-Chef Erich Honecker in Bonn wie einen Staatsgast mit Hymne und militärischen Ehren. Kohl im Februar 1990 in Erfurt: vor Tausenden Menschen und einem Meer von Deutschland-Fahnen
Zwei Jahre später, im Herbst 1989, überrollten die Ereignisse in Ostdeutschland die politische Elite im Westen, auch Kanzler Helmut Kohl. Sein Verdienst war es jedoch, die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: Während die Sozialdemokraten unsicher lavierten, wie der Zusammenbruch der DDR zu bewerten sei – als Chance für eine demokratische DDR oder als Fanal für eine Wiedervereinigung –, sicherte sich Helmut Kohl in seiner zuvor auf Linie gebrachten CDU die Deutungshoheit: Ziel sei die Wiedervereinigung – um jeden Preis und so schnell wie möglich! Anders als Sozialdemokraten und Grüne bewies Kohl ein Gespür für Stimmungen in den Bevölkerungen diesseits, vor allem aber jenseits der Mauer. Zur Erinnerung: Noch auf dem Bremer Parteitag im September 1989, Kohl wirkte politisch verbraucht und leer, konnte er kraft seines sprichwörtlichen Instinktes einen innerparteilichen „Putsch“in letzter Sekunde abwenden. Kohl wirkte angezählt, doch der Zusammenbruch der DDR hauchte ihm politisch neues Leben ein.
Der promovierte Historiker – in jenen Wochen lief er zu Höchstform auf. Er vermied nationale Töne, selbst in der „Höhle des Löwen“, als er am 19. Dezember 1989 vor einem Meer aus schwarz-rot-goldenen Fahnen und „Deutschland, Deutschland“-Sprechchören seine historische Rede hielt. „Jeder falsche Zungenschlag wäre sofort in Paris, London oder Moskau als nationalistisch ausgelegt wor1993,