Das war wunderbar verstörend
Privattheatertage: „Vor dem Ruhestand“erzählt die Geschichte eines fanatischen Altnazis und seiner völlig zerrütteten Famile
Nazi Rudolf Höller (Robert Arnold) mit seinen beiden Schwestern
Es ist eine beinahe typische Nachkriegskarriere: Der ehemalige fanatische SS-Offizier Rudolf Höller tarnt sich mit einer bürgerlichen Existenz und bringt es bis zum Gerichtspräsidenten. Von den abgründigen Familiengeheimnissen Höllers, der in Thomas Bernhards meisterhafter Komödie „Vor dem Ruhestand“steht, weiß die Öffentlichkeit nichts.
Diese werden jedoch in einem gespenstischen Totentanz regelmäßig an jedem 7. Oktober in einer privaten
Feier enthüllt. Dann begeht der Alt-Nazi den Geburtstag des SS-Führers Heinrich Himmler im Kreise seiner Schwestern: der gelähmten Sozialistin Clara (Renate Winkler) und der fürsorglichen Vera (Nicole Schneider), die an diesem „Ehrentag“Höllers alte SS-Uniform und die Schaftstiefel hervorholt.
Regisseur Frank Siebenschuh inszeniert das Treffen der Geschwister als makabre Geisterbeschwörung zwischen Hass und Wahnsinn. Das Theater Tübingen präsentiert das Stück mit drei herausragenden Schauspielern auf den Privattheatertagen im Rennen um den Monica-Bleibtreu-Preis als modernen Klassiker.
Grandios entlarvt der österreichische Dramatiker die Scheinheiligkeit einer nach außen gutbürgerlichen, im Kern aber verdorbenen Familie, in der nationalsozialistisches Denken, Antisemitismus und Menschenverachtung tief verwurzelt sind.
„Die Zeit arbeitet für uns, wir werden uns bald wieder zeigen können“, sagt Kriegsverbrecher Höller (Robert Arnold) und unterstreicht damit die beklemmende Brisanz der „Komödie von deutscher Seele“, wie Bernhard sein Stück zynisch im Untertitel nannte. Während die Täter prahlen, bleiben die Opfer, für die die behinderte Clara steht, stumm.
Ein verstörend intensives Theatererlebnis.