Londoner Inferno Die Gesichter der Tragödie
London – „Missing“– Vermisst. Riesige Plakatwände sind vollgeklebt mit Suchanzeigen am Grenfell Tower, von dem nur noch ein schwarzes Gerippe in den Londoner Himmel ragt. Mehr als 70 Mieter werden nach dem Flammen-Inferno im Sozialbau noch vermisst, darunter ganze Familien. Doch ihre Angehörigen geben die letzte Hoffnung noch nicht auf...
„Ich danke Dir für alles, was Du je für mich getan hast“, sagte Gloria Trevisan ihrer Mutter am Telefon zum Abschied. Der dramatische Anruf der Italienerin aus dem brennenden Grenfell Tower am Mittwoch um 3 Uhr früh waren die letzten Worte, die Glorias Mutter von ihrer Tochter hörte.
Zusammen mit ihrem Verlobten Marco Gottardi (beide 27) war die junge Italienerin erst im März nach London gezogen – in den 23. Stock des Sozialbaus. „Ein Feuer ist ausgebrochen und wir warten auf Hilfe“, berichtete Architektur-Studentin Gloria verzweifelt ihren Eltern beim letzten Anruf. „Sie sagte, sie sehe Flammen das Treppenhaus hochschlagen, dass der Rauch immer dichter werde und sie mit Marco aus dem Gebäude flüchten wolle“, sagte Glorias Vater dem „Mattino di Padova“. Nur wenige Momente später brach die Verbindung ab. „Wir haben kaum Hoffnung, dass Gloria und Marco noch am Leben sind. Doch bis zum Schluss wollen wir an ein Wunder glauben“, sagte Marcos Vater dem „Mattino“. Einer von Marcos Brüdern reiste nach London, um das Schicksal des Paars in Erfahrung zu bringen.
Wie Hunderte weitere Angehörige Klarheit haben wollen, was mit ihren Lieben geschah. Rania Ibrham (30) aus der 24. Etage filmte live auf Facebook, wie sie versuchte, sich mit ihren kleinen Kindern (3 und 5) zu retten. Immer wieder sind im Clip Ranias Hilferufe zu hören. Später schickte sie eine herzzerreißende Snapchat-Nachricht an einen Freund: „Verzeiht mir bitte alles, auf Wiedersehen“. Seitdem fehlt von der jungen Sudanesin und ihren beiden Kindern jede Spur.
Das jüngste Opfer der Katastrophe ist erst sechs Monate alt. Farah Hamdan, ihr Ehemann Omar Belkadi und ihre Tochter sind auch nach zwei Tagen noch unter den Vermissten. Die beiden anderen Kinder des Paares, Malek (10) und Tamzin (6), konnten gerettet werden, kamen in Kliniken. Die kleine Malek schaffte es jedoch nicht – die Zehnjährige starb kurz später im Krankenhaus. Auch für Syrer Mohammed al-Haj Ali (23) wurde das wie eine Fackel brennende Gebäude zur Todesfalle. Der Tiefbau-Student war 2014 mit seiner Familie vor dem Krieg in seinem Heimatland nach London geflohen. Als er mit seinem Bruder Omar (25) die Treppen hinunterlief, wurden die Brüder getrennt. Auf den verqualmten Fluren rannte Mohammed allein
zurück in ihre Wohnung im 14. Stockwerk – wo er zwei Stunden auf Hilfe hoffte. Der Student rief Freunde an, bevor er seine letzte Nachricht schickte: „Die Flammen sind jetzt hier. Dies ist mein Abschied.“Seine Freunde sind bestürzt über die Todesnachricht. Abdulaziz Almashi: „Er hat den Krieg in Syrien überlebt, nur um in einem Wohnhaus in London zu sterben. Dafür gibt es keine Worte.“DÖ