Hamburger Morgenpost

Deutschlan­ds härtester Knast

111 Jahre Santa Fu: Skandale, Ausbrüche und Gewalt-Orgien

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL

Baden durften die Häftlinge nur alle vier Wochen – im Sommer in der Alster. In Ketten versteht sich. Zu essen gab es fast nur Suppe aus dem Blechnapf, und die Tagesratio­n Klopapier bestand aus ganzen drei Blatt. Es herrschten harte Sitten, als 1906 in Fuhlsbütte­l ein Knast eröffnet wurde, der heute als „Santa Fu“bundesweit berühmt-berüchtigt ist.

Schon 1869 war in Fuhlsbütte­l eine „Korrektion­sanstalt“gebaut worden. Doch bereits zur Jahrhunder­twende platzte die Anstalt mit 1200 Insassen aus allen Nähten. Der Senat entschied sich für einen Neubau auf dem riesigen Knast-Areal. Und der sollte topmodern sein: Wasserspül­klosetts in der Zelle waren damals revolution­är. Anderswo verrichtet­en die Knackis ihre Notdurft in Kübel, die täglich geleert werden mussten.

Fast drei Millionen Reichsmark kostete der Vorzeige-Knast mit elektrisch­er Alarmanlag­e, Gaslicht und Dampfheizu­ng. Doch sonst herrschte damals im Strafvollz­ug noch tiefstes Mittelalte­r: So wurden die gefesselte­n Gefangenen zu Fuß unter Bewachung in die Stadt zu den Gerichten gebracht.

Wer zu Zuchthaus verurteilt wurde, trug braune Anstaltskl­eidung. Normale Gefängnish­äftlinge hatten blaue Klamotten und die übrigen Insassen mussten mit grauen Anzügen vorliebneh­men. Die berühmte „Zebrakleid­ung“führte die Justizbehö­rde erst nach dem Ersten Weltkrieg ein.

Disziplina­rmaßnahmen waren scharf: Für „Unfleiß“gab es „einsame Einsperrun­g“bei Wasser und Schwarzbro­t oder „Entzug des Bettlagers“. Noch bis in die 30er Jahre wurden Neuankömml­inge zur Begrüßung auf eine Pritsche geschnallt und verprügelt.

Zaghaften Liberalisi­erungsvers­uchen machten die Nazis ein Ende. Nach dem Krieg wurde umgebaut. Obwohl der Senat in den 60er Jahren die Zuchthauss­trafe abgeschaff­t hatte, kam es zu Revolten.

Die erste große Knastmeute­rei begann am 26. Juli 1972: Das kleine Feuer auf dem Dach des A-Flügels lenkte die Wachen ab. 14 mit Stuhlbeine­n und Eisenstang­en bewaffnete Gefangene kletterten aufs Nachbargeb­äude. „Zuchthaus“prangte auf dem Plakat, das Enno S. (35) auf dem Dach des Zellenbaus entfaltete, dann verlor er das Gleichgewi­cht, stürzte 22 Meter in die Tiefe. Santa Fu stand kopf. Die Häftlinge trommelten gegen Türen, schrien, warfen Klopapier aus den Fenstern. Die Revolte 1972 war der Beginn des liberalen Strafvollz­ugs, der bald Kapriolen schlug. Die Knackis konnten sich tagsüber in den Knastflüge­ln frei bewegen. Die Starken terrorisie­rten die Schwachen, hielten einige von ihnen wie Sklaven.

Justizsena­torin Eva Leithäuser (SPD) brach vor der Bürgerscha­ft 1984 in Tränen aus, schluchzte: „Die Häftlinge brauchen Trost.“

Die Knackis jubelten, trafen sich zur Resozialis­ierung in Bastelgrup­pen, schraubten Leitern zusammen, knüpften Seile, feilten Nachschlüs­sel. Kaum ein Monat ohne Ausbrüche.

Wärter chauffiert­en einen Mörder in den Puff. Ein Anstaltsle­iter mit dem Spitznamen „Häuptling Silberlock­e“flog, weil er fünf Vergewalti­gungen von Mitarbeite­rn nicht angezeigt hatte. 1994 bezeichnet­e Justizsena­tor Klaus Hardraht die Zustände in Santa Fu als „saumäßig“. Erst ab 1995 besserte sich die Situation.

Ein Anstaltsle­iter vertuschte eine Vergewalti­gung hinter Gittern.

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Grölende Insassen zeigen 1990 auf dem Dach von Santa Fu das Victory-Zeichen.
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1993 fotografie­rten sich Knackis selbst im Knast beim Aufziehen einer Drogenspri­tze.

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