Deutschlands härtester Knast
111 Jahre Santa Fu: Skandale, Ausbrüche und Gewalt-Orgien
Baden durften die Häftlinge nur alle vier Wochen – im Sommer in der Alster. In Ketten versteht sich. Zu essen gab es fast nur Suppe aus dem Blechnapf, und die Tagesration Klopapier bestand aus ganzen drei Blatt. Es herrschten harte Sitten, als 1906 in Fuhlsbüttel ein Knast eröffnet wurde, der heute als „Santa Fu“bundesweit berühmt-berüchtigt ist.
Schon 1869 war in Fuhlsbüttel eine „Korrektionsanstalt“gebaut worden. Doch bereits zur Jahrhundertwende platzte die Anstalt mit 1200 Insassen aus allen Nähten. Der Senat entschied sich für einen Neubau auf dem riesigen Knast-Areal. Und der sollte topmodern sein: Wasserspülklosetts in der Zelle waren damals revolutionär. Anderswo verrichteten die Knackis ihre Notdurft in Kübel, die täglich geleert werden mussten.
Fast drei Millionen Reichsmark kostete der Vorzeige-Knast mit elektrischer Alarmanlage, Gaslicht und Dampfheizung. Doch sonst herrschte damals im Strafvollzug noch tiefstes Mittelalter: So wurden die gefesselten Gefangenen zu Fuß unter Bewachung in die Stadt zu den Gerichten gebracht.
Wer zu Zuchthaus verurteilt wurde, trug braune Anstaltskleidung. Normale Gefängnishäftlinge hatten blaue Klamotten und die übrigen Insassen mussten mit grauen Anzügen vorliebnehmen. Die berühmte „Zebrakleidung“führte die Justizbehörde erst nach dem Ersten Weltkrieg ein.
Disziplinarmaßnahmen waren scharf: Für „Unfleiß“gab es „einsame Einsperrung“bei Wasser und Schwarzbrot oder „Entzug des Bettlagers“. Noch bis in die 30er Jahre wurden Neuankömmlinge zur Begrüßung auf eine Pritsche geschnallt und verprügelt.
Zaghaften Liberalisierungsversuchen machten die Nazis ein Ende. Nach dem Krieg wurde umgebaut. Obwohl der Senat in den 60er Jahren die Zuchthausstrafe abgeschafft hatte, kam es zu Revolten.
Die erste große Knastmeuterei begann am 26. Juli 1972: Das kleine Feuer auf dem Dach des A-Flügels lenkte die Wachen ab. 14 mit Stuhlbeinen und Eisenstangen bewaffnete Gefangene kletterten aufs Nachbargebäude. „Zuchthaus“prangte auf dem Plakat, das Enno S. (35) auf dem Dach des Zellenbaus entfaltete, dann verlor er das Gleichgewicht, stürzte 22 Meter in die Tiefe. Santa Fu stand kopf. Die Häftlinge trommelten gegen Türen, schrien, warfen Klopapier aus den Fenstern. Die Revolte 1972 war der Beginn des liberalen Strafvollzugs, der bald Kapriolen schlug. Die Knackis konnten sich tagsüber in den Knastflügeln frei bewegen. Die Starken terrorisierten die Schwachen, hielten einige von ihnen wie Sklaven.
Justizsenatorin Eva Leithäuser (SPD) brach vor der Bürgerschaft 1984 in Tränen aus, schluchzte: „Die Häftlinge brauchen Trost.“
Die Knackis jubelten, trafen sich zur Resozialisierung in Bastelgruppen, schraubten Leitern zusammen, knüpften Seile, feilten Nachschlüssel. Kaum ein Monat ohne Ausbrüche.
Wärter chauffierten einen Mörder in den Puff. Ein Anstaltsleiter mit dem Spitznamen „Häuptling Silberlocke“flog, weil er fünf Vergewaltigungen von Mitarbeitern nicht angezeigt hatte. 1994 bezeichnete Justizsenator Klaus Hardraht die Zustände in Santa Fu als „saumäßig“. Erst ab 1995 besserte sich die Situation.
Ein Anstaltsleiter vertuschte eine Vergewaltigung hinter Gittern.