„Man wollte mich zerstören“
Der Ex-HSV-Profi verließ wegen vermeintlicher Kontakte zur Salafisten-Szene die Bundesliga. In der MOPO bricht er sein Schweigen
Er ist wieder da. Fünf Monate lang kickte Änis Ben-Hatira in der Türkei, nachdem er von der Bundesliga verstoßen wurde. Der Ex-HSV-Profi sorgte mit Spenden für eine umstrittene Hilfsorganisation für Wirbel, nun ist er zurück. In der MOPO spricht Ben-Hatira über die Vorwürfe und seine Karriere.
MOPO: Vor fünf Monaten verließen Sie Deutschland. Es gab schwere Vorwürfe. Es heißt, Sie würden mit „Ansaar“eine Organisation unterstützen, die eng mit der Salafisten-Szene verwoben ist. Wie denken Sie heute darüber? Änis Ben-Hatira:
So wie damals. Ich und viele andere wissen, dass ich nichts Unrechtes tue. Deshalb kann ich mit diesen Vorwürfen nichts anfangen. Leider urteilen Menschen oft vorschnell, anstatt sich für Hintergründe zu interessieren.
Dann versuchen wir es mal. Erklären Sie uns bitte, wie Ihre Zusammenarbeit mit „Ansaar“begann.
Aufgrund meines Glaubens muss ich jährlich 2,5 Prozent meines Vermögens an die Armen abgeben. Ich habe eine Organisation gesucht, die mit diesem Geld sinnvolle Dinge tut, die vertrauenswürdig und transparent ist – und bei der ich weiß, dass mein Geld wirklich bei den Bedürftigen ankommt. Freunde haben mir dann „Ansaar“empfohlen.
Wie ging es weiter?
Ich habe die Gruppe ein Jahr lang intensiv beobachtet. Was sie machen, wo und wie sie arbeiten. Ich wollte sicher sein, was mit meinem Geld passiert. Danach entschloss ich mich, sie zu kontaktieren. Weil ich durch „Ansaar“in Gebieten helfen kann, in die ich sonst nicht vorstoßen könnte.
Wofür haben Sie gespendet?
Wir starteten mit einem Projekt in Gaza. „Ansaar“hat dort eine Kläranlage gebaut, Ich habe einen Tankwagen gespendet, der jetzt jeden Monat 4300 Menschen mit Wasser versorgt. Das ist doch schön. Das nächste Projekt war der Bau eines Brunnens in Ghana. Dort gibt es auch kein sauberes Wasser.
Dennoch: „Ansaar“wird vorgeworfen, den Terrorismus zu unterstützen. Wie gehen Sie mit diesen Vorwürfen um?
Die Organisation hat sich klar positioniert und vom IS losgesagt. Dann hieß es plötzlich: Okay, wenn ihr mit denen nichts zu tun habt, dann aber mit Al Qaida. Auch dem hat „Ansaar“klar widersprochen. Das Thema ist doch abgehakt.
Aber der Verfassungsschutz beobachtet die Organisation.
Und das finde ich gut! Ich lebe in Deutschland und will keine Terror-Aktionen. Jeder, von dem gedacht wird, dass er Dreck am Stecken hat, soll beobachtet werden. Das ist doch die Verantwortung des deutschen Staates.
Sind Sie sicher, dass „Ansaar“nichts mit der Versorgung von Terroristen zu tun hat?
Würde ich nur zu einem Prozent denken, dass sie damit etwas zu tun haben, würde ich mich sofort hinstellen und sagen: Stopp, halt – ich habe einen Fehler gemacht. Mal im Ernst: Ich bin Fußballer, ich stehe in der Öffentlichkeit. Wie dumm müsste ich sein, wenn ich Sachen unterstützen würde, die nicht sauber sind? Gerade ich muss doch immer zu 100 Prozent sicher sein. Ich habe jetzt auch zusätzlich die Änis-Ben-Hatira-Foundation gegründet, wo ich ein starkes Team um mich herum habe.
Haben Sie denn Verständnis dafür, dass sich viele Menschen Sorgen machen, sobald es Gerüchte wie die um „Ansaar“gibt?
Aufgrund der Diskussionen, die es um meine Religion gibt, verstehe ich die Angst der Menschen. Aber das ist schon krass geworden. Vor zehn Jahren hat es keinen interessiert, ob und wie oft ein Moslem betet. Mittlerweile heißt es, wenn du jemanden mit einem Bart siehst: Oh, da musst du aber aufpassen.
Im Januar eskalierte die Situation. Sie einigten sich mit Darmstadt auf eine Vertragsauflösung.
Der Klub hat sich vorher sehr um mich gekümmert. Alles war abgestimmt, Darmstadt war immer involviert. Aber der Verein wurde extrem unter Druck gesetzt und konnte damit nicht mehr umgehen. Vielleicht hätte ein etwas größerer Verein dem Stand gehalten. Es tat Darmstadt weh, als ich ging – aber sie waren auch erleichtert.
Wurden Sie auch unter Druck gesetzt?
Ja, anonym. Damit, dass man meine Karriere zerstören wird. Aber ich wollte mich nicht erpressen lassen.
Wie haben Sie reagiert?
Was soll man tun? Es bringt ja nichts. Einer schrieb: ,Wir bringen euch scheiß Moslems alle um!’ Was soll man darauf antworten?
Erhielten Sie Reaktionen von Kollegen aus der Bundesliga?
Ich habe viele Nachrichten und Zuspruch erhalten – auch von Spielern, die gerade für Deutschland spielen.
Hätten Sie sich eine Reaktion der DFL erhofft? Immerhin haben Sie den Integrationspreis erhalten
und waren Botschafter der Bundesliga-Stiftung. Das hätte ich – mehr als von den Spielern. Weil die DFL mich kennt und weiß, wer ich bin. Aber wenn die Intuition ist, mich zu degradieren, kann ich nicht erwarten, dass Verdienste ins Feld geführt werden. Da ist kein Platz für meine Bambi- oder Laureus-Auszeichnungen.
Nach dem Aus bei Darmstadt wechselten Sie nach Gaziantep, nahe der syrischen Grenze.
Das passte ins Bild, oder? Man hatte den Eindruck, die Leute erwarten nur noch, dass ich mir mein Gewehr schnappe und direkt in den Heiligen Krieg ziehe. Unglaublich.
Warum denn Gaziantep?
Hatte ich mir auch anders gedacht. Ich wollte zu Verhandlungen nach Spanien fliegen und musste am Flughafen umdenken. Nach der „Ansaar“-Thematik distanzierte sich ein Verein nach dem anderen. Sie kippten um, wie Dominosteine. Ich war wirklich traurig und dachte: Krass, wie sich zivilisierte Menschen so beeinflussen lassen.
Zuletzt wurde bekannt, dass Sie noch nicht einen Cent Ihres Gehalts bekommen haben.
Das stimmt. Leider hatte man mir verschwiegen, wie es finanziell wirklich um den Verein steht.
Nun sind Sie zurück und wieder ohne Verein. Hand aufs Herz: Hätten Sie es nicht viel einfacher haben können?
Das steht außer Frage. Aber wenn ich mein Engagement bei „Ansaar“beendet hätte, dann hätte ich gegen meine Überzeugung gehandelt. Mir war es wichtig, in den Spiegel schauen zu können.
Dennoch wird es für Sie jetzt nicht leichter. Das Bild des Sturkopfs hat sich verfestigt.
Auch damit kann ich nichts anfangen. Ich habe doch niemals irgendwo rebelliert. Ich werde hingestellt, als würde ich gern gegen den Strom schwimmen. Haben Sie das schon mal gemacht? Das ist doch total anstrengend.
„Ich finde es gut, dass der Verfassungsschutz Ansaar beobachtet.“ „Einer schrieb: ,Wir bringen euch scheiß Moslems alle um!’“ „Ein Verein nach dem anderen distanzierte sich von mir.“
Aber Sie können nicht bestreiten, dass Sie polarisieren.
Das ist doch aber nicht schlimm. Ständig wird erzählt, im Fußball gäbe es zu
wenig Typen. Und es stimmt! In Deutschland wollen alle Klubs Spieler haben, die du öffentlich kaum unterscheiden kannst. Du hörst von jedem Profi das Gleiche: Ich werde alles für den Klub tun, und so. Wie ein Kassettenrekorder. Wenn ich sowas höre, wird mir schlecht.
Ist für Sie eine Rückkehr in die Bundesliga vorstellbar?
Ich weiß, dass es schwer wäre, weil viele Klubs Angst vor den Schlagzeilen hätten. Deswegen müsste ich mir das genau überlegen. Ich brauche Menschen, die an mich glauben und das in mir sehen, worauf es ankommt: einen ehrgeizigen, guten Fußballer.
Blicken wir noch mal in den Januar zurück: Herr Ben-Hatira, war es das alles wert?
Ja, das war es. Ich habe durch meine Entscheidungen mit meiner Karriere gespielt und sie riskiert. Dessen bin ich mir bewusst. Man wollte mich zerstören. Aber mir war es wichtig, zu meiner Überzeugung zu stehen. Ich bin doch kein Schauspieler. Ich bin Fußballer. Immer