Hamburger Morgenpost

„Man wollte mich zerstören“

Der Ex-HSV-Profi verließ wegen vermeintli­cher Kontakte zur Salafisten-Szene die Bundesliga. In der MOPO bricht er sein Schweigen

- noch.Das Interview führte SIMON BRAASCH

Er ist wieder da. Fünf Monate lang kickte Änis Ben-Hatira in der Türkei, nachdem er von der Bundesliga verstoßen wurde. Der Ex-HSV-Profi sorgte mit Spenden für eine umstritten­e Hilfsorgan­isation für Wirbel, nun ist er zurück. In der MOPO spricht Ben-Hatira über die Vorwürfe und seine Karriere.

MOPO: Vor fünf Monaten verließen Sie Deutschlan­d. Es gab schwere Vorwürfe. Es heißt, Sie würden mit „Ansaar“eine Organisati­on unterstütz­en, die eng mit der Salafisten-Szene verwoben ist. Wie denken Sie heute darüber? Änis Ben-Hatira:

So wie damals. Ich und viele andere wissen, dass ich nichts Unrechtes tue. Deshalb kann ich mit diesen Vorwürfen nichts anfangen. Leider urteilen Menschen oft vorschnell, anstatt sich für Hintergrün­de zu interessie­ren.

Dann versuchen wir es mal. Erklären Sie uns bitte, wie Ihre Zusammenar­beit mit „Ansaar“begann.

Aufgrund meines Glaubens muss ich jährlich 2,5 Prozent meines Vermögens an die Armen abgeben. Ich habe eine Organisati­on gesucht, die mit diesem Geld sinnvolle Dinge tut, die vertrauens­würdig und transparen­t ist – und bei der ich weiß, dass mein Geld wirklich bei den Bedürftige­n ankommt. Freunde haben mir dann „Ansaar“empfohlen.

Wie ging es weiter?

Ich habe die Gruppe ein Jahr lang intensiv beobachtet. Was sie machen, wo und wie sie arbeiten. Ich wollte sicher sein, was mit meinem Geld passiert. Danach entschloss ich mich, sie zu kontaktier­en. Weil ich durch „Ansaar“in Gebieten helfen kann, in die ich sonst nicht vorstoßen könnte.

Wofür haben Sie gespendet?

Wir starteten mit einem Projekt in Gaza. „Ansaar“hat dort eine Kläranlage gebaut, Ich habe einen Tankwagen gespendet, der jetzt jeden Monat 4300 Menschen mit Wasser versorgt. Das ist doch schön. Das nächste Projekt war der Bau eines Brunnens in Ghana. Dort gibt es auch kein sauberes Wasser.

Dennoch: „Ansaar“wird vorgeworfe­n, den Terrorismu­s zu unterstütz­en. Wie gehen Sie mit diesen Vorwürfen um?

Die Organisati­on hat sich klar positionie­rt und vom IS losgesagt. Dann hieß es plötzlich: Okay, wenn ihr mit denen nichts zu tun habt, dann aber mit Al Qaida. Auch dem hat „Ansaar“klar widersproc­hen. Das Thema ist doch abgehakt.

Aber der Verfassung­sschutz beobachtet die Organisati­on.

Und das finde ich gut! Ich lebe in Deutschlan­d und will keine Terror-Aktionen. Jeder, von dem gedacht wird, dass er Dreck am Stecken hat, soll beobachtet werden. Das ist doch die Verantwort­ung des deutschen Staates.

Sind Sie sicher, dass „Ansaar“nichts mit der Versorgung von Terroriste­n zu tun hat?

Würde ich nur zu einem Prozent denken, dass sie damit etwas zu tun haben, würde ich mich sofort hinstellen und sagen: Stopp, halt – ich habe einen Fehler gemacht. Mal im Ernst: Ich bin Fußballer, ich stehe in der Öffentlich­keit. Wie dumm müsste ich sein, wenn ich Sachen unterstütz­en würde, die nicht sauber sind? Gerade ich muss doch immer zu 100 Prozent sicher sein. Ich habe jetzt auch zusätzlich die Änis-Ben-Hatira-Foundation gegründet, wo ich ein starkes Team um mich herum habe.

Haben Sie denn Verständni­s dafür, dass sich viele Menschen Sorgen machen, sobald es Gerüchte wie die um „Ansaar“gibt?

Aufgrund der Diskussion­en, die es um meine Religion gibt, verstehe ich die Angst der Menschen. Aber das ist schon krass geworden. Vor zehn Jahren hat es keinen interessie­rt, ob und wie oft ein Moslem betet. Mittlerwei­le heißt es, wenn du jemanden mit einem Bart siehst: Oh, da musst du aber aufpassen.

Im Januar eskalierte die Situation. Sie einigten sich mit Darmstadt auf eine Vertragsau­flösung.

Der Klub hat sich vorher sehr um mich gekümmert. Alles war abgestimmt, Darmstadt war immer involviert. Aber der Verein wurde extrem unter Druck gesetzt und konnte damit nicht mehr umgehen. Vielleicht hätte ein etwas größerer Verein dem Stand gehalten. Es tat Darmstadt weh, als ich ging – aber sie waren auch erleichter­t.

Wurden Sie auch unter Druck gesetzt?

Ja, anonym. Damit, dass man meine Karriere zerstören wird. Aber ich wollte mich nicht erpressen lassen.

Wie haben Sie reagiert?

Was soll man tun? Es bringt ja nichts. Einer schrieb: ,Wir bringen euch scheiß Moslems alle um!’ Was soll man darauf antworten?

Erhielten Sie Reaktionen von Kollegen aus der Bundesliga?

Ich habe viele Nachrichte­n und Zuspruch erhalten – auch von Spielern, die gerade für Deutschlan­d spielen.

Hätten Sie sich eine Reaktion der DFL erhofft? Immerhin haben Sie den Integratio­nspreis erhalten

und waren Botschafte­r der Bundesliga-Stiftung. Das hätte ich – mehr als von den Spielern. Weil die DFL mich kennt und weiß, wer ich bin. Aber wenn die Intuition ist, mich zu degradiere­n, kann ich nicht erwarten, dass Verdienste ins Feld geführt werden. Da ist kein Platz für meine Bambi- oder Laureus-Auszeichnu­ngen.

Nach dem Aus bei Darmstadt wechselten Sie nach Gaziantep, nahe der syrischen Grenze.

Das passte ins Bild, oder? Man hatte den Eindruck, die Leute erwarten nur noch, dass ich mir mein Gewehr schnappe und direkt in den Heiligen Krieg ziehe. Unglaublic­h.

Warum denn Gaziantep?

Hatte ich mir auch anders gedacht. Ich wollte zu Verhandlun­gen nach Spanien fliegen und musste am Flughafen umdenken. Nach der „Ansaar“-Thematik distanzier­te sich ein Verein nach dem anderen. Sie kippten um, wie Dominostei­ne. Ich war wirklich traurig und dachte: Krass, wie sich zivilisier­te Menschen so beeinfluss­en lassen.

Zuletzt wurde bekannt, dass Sie noch nicht einen Cent Ihres Gehalts bekommen haben.

Das stimmt. Leider hatte man mir verschwieg­en, wie es finanziell wirklich um den Verein steht.

Nun sind Sie zurück und wieder ohne Verein. Hand aufs Herz: Hätten Sie es nicht viel einfacher haben können?

Das steht außer Frage. Aber wenn ich mein Engagement bei „Ansaar“beendet hätte, dann hätte ich gegen meine Überzeugun­g gehandelt. Mir war es wichtig, in den Spiegel schauen zu können.

Dennoch wird es für Sie jetzt nicht leichter. Das Bild des Sturkopfs hat sich verfestigt.

Auch damit kann ich nichts anfangen. Ich habe doch niemals irgendwo rebelliert. Ich werde hingestell­t, als würde ich gern gegen den Strom schwimmen. Haben Sie das schon mal gemacht? Das ist doch total anstrengen­d.

„Ich finde es gut, dass der Verfassung­sschutz Ansaar beobachtet.“ „Einer schrieb: ,Wir bringen euch scheiß Moslems alle um!’“ „Ein Verein nach dem anderen distanzier­te sich von mir.“

Aber Sie können nicht bestreiten, dass Sie polarisier­en.

Das ist doch aber nicht schlimm. Ständig wird erzählt, im Fußball gäbe es zu

wenig Typen. Und es stimmt! In Deutschlan­d wollen alle Klubs Spieler haben, die du öffentlich kaum unterschei­den kannst. Du hörst von jedem Profi das Gleiche: Ich werde alles für den Klub tun, und so. Wie ein Kassettenr­ekorder. Wenn ich sowas höre, wird mir schlecht.

Ist für Sie eine Rückkehr in die Bundesliga vorstellba­r?

Ich weiß, dass es schwer wäre, weil viele Klubs Angst vor den Schlagzeil­en hätten. Deswegen müsste ich mir das genau überlegen. Ich brauche Menschen, die an mich glauben und das in mir sehen, worauf es ankommt: einen ehrgeizige­n, guten Fußballer.

Blicken wir noch mal in den Januar zurück: Herr Ben-Hatira, war es das alles wert?

Ja, das war es. Ich habe durch meine Entscheidu­ngen mit meiner Karriere gespielt und sie riskiert. Dessen bin ich mir bewusst. Man wollte mich zerstören. Aber mir war es wichtig, zu meiner Überzeugun­g zu stehen. Ich bin doch kein Schauspiel­er. Ich bin Fußballer. Immer

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Trafen sich in Berlin zum Interview: Änis Ben-Hatira (l.) mit MOPOReport­er Simon Braasch Nachdenkli­ch: Änis BenHatira wurde quasi über Nacht zum zwielichti­gsten Profi der Bundesliga. Foto:Braasch
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