HSV, Pokal olé, olé - und sonst so?!
Geteiltes Deutschland, „Dirty Dancing“und jede Menge Kult-TV
Ach Kinners, waren das noch Zeiten, damals 1987, beim letzten Titelgewinn des Hamburger Sport-Vereins (die Triumphe im LigaPokal 2003, beim „PeaceCup“2012 und Telekom Cup 2015 nicht mitgezählt). Eine halbe Ewigkeit ist das her. In einem anderen Leben. Deutschland gab es zweimal, sonntags Braten, Helmut Kohl war Kanzler, Steffi Graf gewann ihren ersten von 22 Grand-Slam-Titeln, die Telefone hatten Kabel und eine Wählscheibe, Twix hieß noch Raider und der HSV war noch wer.
Ja, für HSV-Fans gibt es sie, die Gnade der frühen Geburt. Viele der heutigen Rauten-Jünger waren 1987 noch gar nicht Teil der Erdbevölkerung – ganz zu schweigen von den aktuellen HSV-Profis, derer lediglich zwei zum Zeitpunkt des letzten Titelgewinns am 20. Juni das Licht der Welt erblickt hatten: Ein albanischstämmiger Knirps namens Mergim hatte sich elf Tage vor dem mit jedem Jahr legendärer werdenden 3:1 über die
Stuttgarter Kickers an der einsamen Kerze auf dem Geburtstagskuchen erfreut und Klein-Aaron strampelte, brabbelte, sabberte oder bäuerte zum Entzücken seiner Eltern munter vor sich hin – wie das neun Monate alte Babys nun mal machen.
Und so mancher Ultra von heute war seinerzeit (ein im Zusammenhang mit HSVErfolgen zunehmend geWort) bräuchliches nicht mehr als ein feuchter Traum seines späteren Erzeugers beim Betrachten des Samantha-FoxPosters aus der Bravo an der Wand seiner Teenie-Bude. Beim zweitwichtigsten Ereignis des Jahres 1987, das sich eine Woche vor besagtem wichtigsten ebenfalls in West-Berlin abspielte-
te, rief US-Präsident Ronald Reagan bei seiner öffentlichen Rede vor dem Brandenburger Tor Michail
Gorbatschow (Spätgeborenen sei an dieser Stelle Google empfohlen) auf, die Berliner Mauer einzureißen. Apropos Mauer: Acht Tage danach überwand ein gewisser Manfred Kaltz, eher weniger für große Reden bekannt, die Stuttgarter Mauer zum zwischenzeitlichen 2:1.
Manfred. So hießen Männer im besten Alter damals. Bei den Pokal-Helden des HSV gleich zwei. Die anderen hießen Uwe, Peter, Lothar, Heinz, Walter, Dietmar oder Ditmar und trugen vorzugsweise Vokuhila. Im Jahr 1987 geborene Kinder wurden von ihren Eltern am liebsten Christian oder Julia getauft. Heutzutage heißen HSV-Profis Luca, Lewis oder Pierre-Michel (so hießen 1987 nur Franzosen, Kanadier oder Tänzerinnen im Pulverfass auf der Reeperbahn).
Frankreich, na klar! Aus den Radios schepperte wochenlang der Ich-sing-mitobwohl-ich-den-Text-nichtkann-Ohrwurm
„Voyage, voyage“, der Nummer-1-Hit des Jahres. Madonna schwärmte von „La Isla Bonita“, Jürgen von der Lippe wünschte seinen lieben Sorgen Guten Morgen, Michael Jackson konnte einfach nicht genug von deiner Liebe bekommen und George Michael wollte einfach nur deinen Sex. Kino-Hit des Jahres war „Dirty Dancing“mit 8,7 Millionen Zuschauern (weil Mädchen scharenweise wieder und wieder ins Kino rannten). Nach heutigen Maßstäben so „dirty“wie ein White-Chocolate-Mocha-Fleck auf einer sandfarbenen Tischdecke. Platz zwei: „Otto – der neue Film“. Otto ist übrigens HSV-Fan, er war damals 38, halb so alt wie heute – denn wenn er ein echter HSV-Fan ist, ist der Blödel-Barde in den letzten Jahren deutlich älter geworden als seine offiziell 68 Lenze. Die TV-Nation war im Serien-Fieber. Der neue heiße Scheiß aus der Bildröhre hieß – je nach Altersgruppe – „MacGyver“, „Das A-Team“, „Ein Engel auf Erden“, „Der Landarzt“, „Praxis Bülowbogen“oder „Das Erbe der Guldenburgs“. Zwei weitere Meilensteine: Der Musiksender MTV sendete erstmals in Europa und Thomas Gottschalk moderierte erstmals „Wetten, dass..?“TV-Eklats? Aber hallo! Die ARD strahlte zu Jahresbeginn versehentlich Helmut Kohls Neujahrsansprache
aus dem Vorjahr aus (was man in den kommenden elf Jahren getrost hätte beibehalten können). Und die Comedy-Sendung „Rudis Tagesshow“sorgte für einen internationalen Eklat und diplomatische Spannungen, weil das iranische Staatsoberhaupt Ayatollah Khomeini in einer Parodie mit Damenunterwäsche herumfummelte. Moderator Rudi
Carrell erhielt Morddrohungen. Merke: BöhmermannErdogan-Gate ist die Kopie.
Was die Deutschen 1987 sonst noch bewegte? Die Volkszählung, die Einführung des maschinenlesbaren Ausweises, der Börsencrash in den USA („Black Monday“), die Kür des Opel
Omega A zum „Auto des Jahres“, die Landung des Wedelers Mathias Rust mit seiner Cessna 172 auf dem Roten Platz in Moskau, der Fall Uwe
Barschel und in Hamburg die Krawalle in der Hafenstraße.
Was 1987 niemand ahnen konnte: Dass die von zwei Kumpels in Seattle gegründete Band „Nirvana“Musikgeschichte schreiben, der am 24. Juni im argentinischen Rosario geborene und ungewöhnlich kleine Lionel
Andrés Messi Cuccittini fünfmal die Wahl zum Weltfußballer gewinnen würde – und der Hamburger SV drei Jahrzehnte lang keinen Titel mehr.