Wie geht es
Lange war es still um Jürgen Schwandt, der Seebär ist sehr
Von STEFAN KRÜCKEN
apitän Schwandt wartet auf der Terrasse hinter dem Mehrfamilienhaus und tut, was er immer tut: Er raucht. Noch etwas dünner ist er geworden, man sieht ihm an, dass er in den vergangenen Monaten viel Zeit in Krankenhäusern und Arztpraxen verbrachte. „Jong, setz dich“, brummt er und deutet auf einen Gartenstuhl.
Genau vor einem Jahr hockten wir auf den ÅlandInseln zwischen Finnland und Schweden auf einer Pier und hatten große Pläne. Schwandts Biografie „Sturmwarnung“stand monatelang in der „Spiegel“Bestsellerliste, auf Facebook folgten ihm 160000 Menschen, ein Internet-Riese lud ihn, 81 Jahre alt, als Redner zu einer Konferenz für „junge Talente“(worüber er herzhaft lachte). Doch dann wurde der Kapitän krank, schwer krank, ausgerechnet an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, mit dem wir nach London fuhren. Zwei schwere Operationen folgten, und zeitweise sah es gar nicht gut aus. Deshalb die wichtigste Frage zuerst: „Wie geht es dir?“
Er nimmt einen Zug an der Kippe. „Ich lebe. Ich lebe gerne“, sagt er. Pause. „Aber es wird immer schwerer, den Kadaver am Laufen zu halten.“
So ist er noch immer, er will nicht jammern, er mag nicht lamentieren, und er möchte schon gar nicht den Eindruck des leidenden, alten Mannes hinterlassen. Natürlich fragen viele danach, das weiß er. Also, das ärztliche Bulletin: Das organische Leiden ist durch die Operationen besser geworden, doch ihm setzt das „Quincke-Syndrom“zu, eine Art allergische Überreaktion, die zum Ersticken führen kann. Allein in den vergangenen vier Wochen bekam der alte Seemann drei Mal keine Luft mehr. Einmal auf der Couch, in der S-Bahn auf dem Weg zum Arzt, einmal in der Praxis. Bei der letzten Attacke schaffte er es gerade noch, die Tablette zu schlucken.
Das Cortison, das er nimmt, löst andere Kettenreaktionen aus: Schwandt ist schwer zuckerkrank und muss vor jeder Mahlzeit seinen Blutzuckerspiegel messen und sich spritzen. Er nimmt täglich mehr Tabletten ein, als manche Kinder Bonbons naschen. Er sieht immer schlechter, Folge der Diabetes, und fühlt sich oft matt. Eine Fraktur des linken Knöchels, den er sich vor vielen Jahren als Matrose brach, entzündete sich. Am Stock will er deshalb nicht gehen, nicht mal heimlich, dafür ist er zu stolz. Würde ist ihm wichtig. Die Schmerzmittel aber führen zu einem Dauernebel, den Schwandt nicht mag. „Um es abzukürzen: Ich fühle mich oft müde“, sagt er, „einfach müde.“ In die Öffentlichkeit mag er sich nicht mehr zeigen. Selbst dann nicht, als ihn Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zum MatthiaeMahl mit Kanadas Premierminister Justin Trudeau einlud. Scholz, den er in der „Haifisch Bar“traf und sofort mochte, fragte per Brief, wie es geht. Schwandt freut das. „Bestätigt meinen guten Eindruck von dem Mann“, meint er.
Die Politik und das Tagesgeschehen verfolgt Schwandt so aufmerksam, wie er kann. Er ist besorgt wegen Russlands Präsident Putin und dessen Aggressionen gegen die Demokratien des Westens. Er wundert sich darüber, wie SPDSchulz von null auf hundert und zurück auf null geschrieben wurde. Und er schimpft über US-Präsident Trump, von dem er allerdings nicht glaubt, dass er das Ende seiner Amtszeit überstehen wird. „Sie werden etwas gegen ihn finden. Wäre ich jung, würde ich beim G20-Gipfel demonstrieren. Friedlich, natürlich“, sagt er. Der Niedergang der AfD? Schwandt mag sich nicht freuen, denn die Aussicht, dass es diese Partei in den Bundestag schafft, behagt ihm nicht. „Sie werden auf Sicht den Weg der Piraten-Partei gehen und sich selbst zerflei-
„Es wird schwerer, den Kadaver am Laufen zu halten.“Schwandt über seinen Zustand