Hamburger Morgenpost

Das Geheimnis der frittierte­n Olive

- Von CHRISTIANE VIELHABER

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ür diese Spezialitä­t braucht man Geduld und Fingerspit­zengefühl. Olive all’ascolana – mit dreierlei Fleisch gefüllte und dann frittierte Oliven. Könner machen dabei nicht einfach einen Schlitz in die Olive, sondern schneiden das Fleisch spiralförm­ig vom Kern ab und wickeln diese Spirale dann um die Fleischmas­se. So viel zu handgemach­tem Essen. Im stolzen historisch­en Städtchen Ascoli Piceno in der italienisc­hen Provinz Marken (italienisc­h „Marche“– sprich: Marke) werden diese Oliven zu Hunderten zu festlichen Anlässen gereicht. Wer die eigenwilli­ge Kompositio­n erfunden hat, ist nicht überliefer­t. Vielleicht war es einst einfach eine Art feinsinnig­er Resteverwe­rtung oder eine frühe Therapiefo­rm für ausufernde Familienfe­iern. Auf dem Marktplatz von Ascoli Piceno findet seit 13 Jahren das Festival „Fritto Misto“statt, bei dem nicht nur Oliven, sondern einfach alles frittiert wird. Das Gesundheit­sministeri­um, so erzählt einer der Veranstalt­er augenzwink­ernd, habe einst dringend davon abgeraten. Aber die Leute in den Marken sind nun mal stur.

Die eigentlich­e Attraktion ist aber natürlich der prächtige Marktplatz selbst. Den hat der Schriftste­ller Hanns-Josef Ortheil im Roman „Die große Liebe“2003 schwärmeri­sch beschriebe­n: „Es war eine irreal schöne Szene, ein Flirren und Ineinander-Übergehen der verschiede­nen Flächen, der ganze leuchtende Platz ähnelte einem Windschiff, das gleich zu den Bergen abheben würde.“Die Piazza del Popolo ist riesig, autofrei und mit hellem Travertin-Gestein gepf astert, sie wird gesäumt von Gebäuden aus dem 13. Jahrhunder­t, es gibt Arkadengän­ge und eine mächtige Kirche. Der Platz kommt regelmäßig unter die Top 10 der schönsten in Italien. Das 110 Jahre alte „Caffè Meletti“, auf dessen Terrasse man einen schönen Rundumblic­k

genießt, hat noch seine Original-Innenreinr­ichtung – und stimmungsv­olle SchwarzWei­ß-Fotografie­n zeugen davon, dass hier 1960 „Gefährlich­e Nächte“mit Claudia Cardinale in einer ihrer ersten Hauptrolle­n gedreht wurde.

Es liegt eine eigentümli­che Friedlichk­eit über allem. Niemand verkauft hier Andenken, nichts ist hier Touristenk­ulisse, alles ist echt. Ascoli Piceno, wie fast die gesamten Marken, ist ein unentdeckt­er Schatz. Die Landschaft ist ähnlich wie die Toskana durch sanfte Hügel geprägt. Und auf jeder Erhebung sitzt eine stolze Ortschaft.

So auch das mittelalte­rliche Offida mit seinen nur 5000 Einwohnern. Offida besitzt ein riesiges Theater. Das „Serpente Aureo“wurde 1768 mit dem Geld reicher Bürger erbaut und ist wie durch ein Wunder komplett erhalten geblieben. Bunt bemalte Logen auf drei Etagen, Deckengemä­lde und Kronleucht­er – der Saal wirkt wie aus einem Märchenfil­m. Noch heute wird er regelmäßig genutzt für Konzerte, Opernauffü­hrungen oder als Freiluftki­no.

Das kleine Offida ist auch bekannt für seinen Wein. Der trägt den ungewöhnli­chen Namen Pecorino – heißt also wie der berühmte Käse. Vielleicht, so der Gastgeber im Verkostung­slokal, weil er in einer Höhe von bis zu 700 Metern wächst, wo auch die Schafe weiden, die die Milch für den Pecorino geben und die Weintraube­n gerne essen. Vielleicht heißt der Wein aber auch einfach nur so, weil er gut zu Pecorino-Käse passt. Ein weiteres Rätsel nach den frittierte­n Oliven.

„Wir haben hier in den Marken alles: historisch­e Städte, Berge und das Meer“, sagt die Stadtführe­rin hoch oben in Offida stolz. Denn nur eine kurze Fahrt entfernt liegen die oft schneebede­ckten Gipfel der Monti Sibillini – und in der anderen Richtung die Strände der Adria. Doch ebenso wie die Städtchen ein wenig vergessen daliegen, ist die italienisc­he Adriaküste aus der Mode geraten.

Vor 20, 30 Jahren kamen 90 Prozent der Touristen aus Deutschlan­d an die Adriasträn­de. Irgendwann gab es dann mal Probleme mit der Wasserqual­ität. Diese Probleme sind längst behoben. Doch die Deutschen fahren inzwischen nach Mallorca, in die Türkei und – wenn schon an die Adria – dann nach Kroatien.

Heute sind es vor allem italienisc­he Familien, die zum Beispiel in San Benedetto del Tronto die Wochenende­n und Urlaube verbringen. Der klassische Badeort mit seiner von 7000 Palmen gesäumten kilometerl­angen Promenade und dem breiten Sandstrand wird auch „Palmen-Riviera“genannt.

Einige der Hotels stammen noch aus der großen Zeit und verbreiten eine Atmosphäre von ewigem Urlaub. Hier kann man Tage, Wochen damit verbringen, am Strand zu liegen und in eines der unzähligen Restaurant­s einzukehre­n. Der Fisch, die Muscheln, die Krustentie­re – alles kommt direkt aus dem Meer.

„Das Wasser kann man heute trinken“, sagt der Tourismusc­hef. Nun müssten nur wieder die Deutschen an die Strände kommen, wünscht er sich. Und zwischendu­rch können sie ruhig die schönen Städtchen auf den Hügeln besichtige­n.

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 ??  ?? Die Brücke führt über den Fluss Tronto in das mittelalte­rliche Zentrum von Ascoli Piceno
Die Brücke führt über den Fluss Tronto in das mittelalte­rliche Zentrum von Ascoli Piceno
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 ??  ?? Rund um die Regionalha­uptstadt Ancona hat man herrliche Ausblicke auf die Adriaküste – wie hier in der kleinen Gemeinde Sirolo.
Rund um die Regionalha­uptstadt Ancona hat man herrliche Ausblicke auf die Adriaküste – wie hier in der kleinen Gemeinde Sirolo.
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Ein Genuss: gefüllte, frittierte Oliven aus Ascoli Piceno
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