Das Geheimnis der frittierten Olive
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ür diese Spezialität braucht man Geduld und Fingerspitzengefühl. Olive all’ascolana – mit dreierlei Fleisch gefüllte und dann frittierte Oliven. Könner machen dabei nicht einfach einen Schlitz in die Olive, sondern schneiden das Fleisch spiralförmig vom Kern ab und wickeln diese Spirale dann um die Fleischmasse. So viel zu handgemachtem Essen. Im stolzen historischen Städtchen Ascoli Piceno in der italienischen Provinz Marken (italienisch „Marche“– sprich: Marke) werden diese Oliven zu Hunderten zu festlichen Anlässen gereicht. Wer die eigenwillige Komposition erfunden hat, ist nicht überliefert. Vielleicht war es einst einfach eine Art feinsinniger Resteverwertung oder eine frühe Therapieform für ausufernde Familienfeiern. Auf dem Marktplatz von Ascoli Piceno findet seit 13 Jahren das Festival „Fritto Misto“statt, bei dem nicht nur Oliven, sondern einfach alles frittiert wird. Das Gesundheitsministerium, so erzählt einer der Veranstalter augenzwinkernd, habe einst dringend davon abgeraten. Aber die Leute in den Marken sind nun mal stur.
Die eigentliche Attraktion ist aber natürlich der prächtige Marktplatz selbst. Den hat der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil im Roman „Die große Liebe“2003 schwärmerisch beschrieben: „Es war eine irreal schöne Szene, ein Flirren und Ineinander-Übergehen der verschiedenen Flächen, der ganze leuchtende Platz ähnelte einem Windschiff, das gleich zu den Bergen abheben würde.“Die Piazza del Popolo ist riesig, autofrei und mit hellem Travertin-Gestein gepf astert, sie wird gesäumt von Gebäuden aus dem 13. Jahrhundert, es gibt Arkadengänge und eine mächtige Kirche. Der Platz kommt regelmäßig unter die Top 10 der schönsten in Italien. Das 110 Jahre alte „Caffè Meletti“, auf dessen Terrasse man einen schönen Rundumblick
genießt, hat noch seine Original-Innenreinrichtung – und stimmungsvolle SchwarzWeiß-Fotografien zeugen davon, dass hier 1960 „Gefährliche Nächte“mit Claudia Cardinale in einer ihrer ersten Hauptrollen gedreht wurde.
Es liegt eine eigentümliche Friedlichkeit über allem. Niemand verkauft hier Andenken, nichts ist hier Touristenkulisse, alles ist echt. Ascoli Piceno, wie fast die gesamten Marken, ist ein unentdeckter Schatz. Die Landschaft ist ähnlich wie die Toskana durch sanfte Hügel geprägt. Und auf jeder Erhebung sitzt eine stolze Ortschaft.
So auch das mittelalterliche Offida mit seinen nur 5000 Einwohnern. Offida besitzt ein riesiges Theater. Das „Serpente Aureo“wurde 1768 mit dem Geld reicher Bürger erbaut und ist wie durch ein Wunder komplett erhalten geblieben. Bunt bemalte Logen auf drei Etagen, Deckengemälde und Kronleuchter – der Saal wirkt wie aus einem Märchenfilm. Noch heute wird er regelmäßig genutzt für Konzerte, Opernaufführungen oder als Freiluftkino.
Das kleine Offida ist auch bekannt für seinen Wein. Der trägt den ungewöhnlichen Namen Pecorino – heißt also wie der berühmte Käse. Vielleicht, so der Gastgeber im Verkostungslokal, weil er in einer Höhe von bis zu 700 Metern wächst, wo auch die Schafe weiden, die die Milch für den Pecorino geben und die Weintrauben gerne essen. Vielleicht heißt der Wein aber auch einfach nur so, weil er gut zu Pecorino-Käse passt. Ein weiteres Rätsel nach den frittierten Oliven.
„Wir haben hier in den Marken alles: historische Städte, Berge und das Meer“, sagt die Stadtführerin hoch oben in Offida stolz. Denn nur eine kurze Fahrt entfernt liegen die oft schneebedeckten Gipfel der Monti Sibillini – und in der anderen Richtung die Strände der Adria. Doch ebenso wie die Städtchen ein wenig vergessen daliegen, ist die italienische Adriaküste aus der Mode geraten.
Vor 20, 30 Jahren kamen 90 Prozent der Touristen aus Deutschland an die Adriastrände. Irgendwann gab es dann mal Probleme mit der Wasserqualität. Diese Probleme sind längst behoben. Doch die Deutschen fahren inzwischen nach Mallorca, in die Türkei und – wenn schon an die Adria – dann nach Kroatien.
Heute sind es vor allem italienische Familien, die zum Beispiel in San Benedetto del Tronto die Wochenenden und Urlaube verbringen. Der klassische Badeort mit seiner von 7000 Palmen gesäumten kilometerlangen Promenade und dem breiten Sandstrand wird auch „Palmen-Riviera“genannt.
Einige der Hotels stammen noch aus der großen Zeit und verbreiten eine Atmosphäre von ewigem Urlaub. Hier kann man Tage, Wochen damit verbringen, am Strand zu liegen und in eines der unzähligen Restaurants einzukehren. Der Fisch, die Muscheln, die Krustentiere – alles kommt direkt aus dem Meer.
„Das Wasser kann man heute trinken“, sagt der Tourismuschef. Nun müssten nur wieder die Deutschen an die Strände kommen, wünscht er sich. Und zwischendurch können sie ruhig die schönen Städtchen auf den Hügeln besichtigen.