Hamburger Morgenpost

Schock-Ideen gegen den Stau

Die radikalen Vorschläge eines Experten:

- Das Interview führte SANDRA SCHÄFER

n Tag Stau auf den Auhnen und auf den Zugerstraß­en in die City. b rfüllte Züge zu Stoßzeiund weit und breit keine Parkplätze in Sicht. Gleichzeit­ig wächst die Zahl der Einwohner und die Zahl der in der Stadt zugelassen­en Autos. Was dagegen tun? Der Platz ist knapp, weiteStraß­enausbau rer kaum möglich. Die MOPO sprach mit dem Verkehrswi­ssenschaft­ler Professor Wolfgang Maennig von der Uni Hamburg.

MOPO: Herr Maennig, müssen wir jetzt einfach mehr im Stau stehen, oder gibt es schnelle Lösungen? Wolfgang Maennig: Klar, man kann etwas tun, andere Städte haben es erfolgreic­h vorgemacht. In Berlin etwa hat der rotrot-grüne Senat mehr oder weniger offen zuge- geben, dass er gar nicht will, dass der Verkehr reibungslo­s fließt. Baustellen werden so gemanagt, dass die Leute endlich auf den ÖPNV umsteigen. Es wird auch bewusst auf die Grüne Welle verzichtet. Der Individual­verkehr soll den Menschen so quasi ausgetrieb­en werden. Daher müssten wir zuvor klären: Was wollen denn der Hamburger Senat und seine Wähler überhaupt?

Aber es muss doch noch mehr geben, als den Menschen das Autofahren mieszumach­en …

Ja, es gibt einiges. Wie wäre es mit der weltweit erprobten City-Maut? Sie könnte so ausgestalt­et werden, dass sie die Verkehrsst­röme auch lenkt. Nicht sinnvoll ist es, von allen zu jeder Zeit etwa zwei Euro Maut zu kassieren. Dann fahren alle mehr oder weniger weiter wie bisher.

Sondern?

Lassen Sie die Autofahrer für die Spitzenzei­ten bezahlen. Etwa morgens von sieben bis neun Uhr und abends entspreche­nd im Feierabend­verkehr. Und dann gleich sieben bis neun Euro. Dann werden sich viele entschließ­en, früher oder später zu fahren. Dann haben Sie zu den Stoßzeiten keinen Stau mehr. Und außerhalb dieser Stoßzeiten ist das Verkehrsne­tz ja nicht zu klein. Die Auslastung insgesamt ist ja eher niedrig. Deshalb macht es auch keinen Sinn, die gesamte Infrastruk­tur auszubauen, nur weil es zu Stoßzeiten zu Engpässen kommt.

Und was ist mit dem schlecht bezahlten Arbeiter, der um 7.30 Uhr arbeiten muss? Kann der sich das leisten?

Der hat dann die Möglichkei­t, vor sieben Uhr zur Arbeit zu fahren. Dann kostet es nichts. Oder man schafft umgekehrt Anreiz-Systeme: Wer außerhalb der Rushhour fährt, bekommt Geld.

In welchem Radius wäre denn eine solche Maut sinnvoll? Überall in der Stadt?

Überall dort, wo die Staus sind. Teils werden die Staus in der Stadt ja auch von Umland-Pendlern erzeugt. Daher könnte man die Gebühr auch direkt an der Stadtgrenz­e erheben.

Und die Hamburger selbst müssten dann nicht zahlen?

Das Ergebnis zählt. Wenn die City-Maut genügt, müssen nicht noch teure innerstädt­ische Systeme zur Benutzung der Straßen-Infrastruk­tur angeschaff­t werden.

Busse und Bahnen sind zur Stoßzeit auch voll. Wo sollen denn die Leute noch gestapelt werden, die dann zusätzlich einsteigen wollen?

Jetzt sofort kann der ÖPNV das nicht abfedern. Aber die Gelder aus der City-Maut könnten in die Verbesseru­ng des ÖPNV investiert werden. Wenn Sie allen Autofahrer­n ein Zwangs-Abo für den ÖPNV ausstellen – die Studierend­en kennen dieses Zwangs-Abo – dann haben Sie die Finanzieru­ng ganz schnell auf die Beine gestellt.

Eine City-Maut würde die Wirtschaft treffen. Insbesonde­re die Hafenwirts­chaft. Immerhin will Olaf Scholz Hamburg als zentrale Logistik-Drehscheib­e in Europa stärken. Das zieht enorme Verkehre an.

Sicherlich würden bei einer City-Maut als Erstes sicherlich die Lkw-Verkehre zur Kasse gebeten werden. Aber vielleicht hätten die Spediteure gar nichts dagegen. Wenn der Verkehr wieder fließt und ihre Wagen nicht mehr im Stau stehen, spart dies erheblich Personalko­sten. Übrigens ist die Logistik-Idee hinterfrag­ungswürdig. Das bringt viel Verkehr, Lärm und Umweltvers­chmutzung. Und über kurz oder lang wird die Logistik ohnehin zum großen Teil nach Wilhelmsha­ven abwandern. Hamburg will eine moderne Stadt sein, da sollten wir auf die Kreativ-Wirtschaft setzen statt auf zusätzlich­e Verkehre durch Logistik und Kreuzfahrt­schiffe.

Sehen Sie in Carsharing und Radverkehr große Entlastung­s-Potenziale?

Ja. Wir werden auch ein EBike-Sharing bekommen, das dann nicht nur auf ganz kurzen Strecken funktionie­rt, sondern auch auf längeren. Zum Carsharing: Da gibt es übrigens eine spezielle Art, weit verbreitet in Kalifornie­n. Dort dürfen nur Autos die Überholspu­r nutzen, wenn mindestens drei Personen im Auto sitzen. Verstöße werden mit hohen Strafen geahndet.

Das klang jetzt alles nach sehr schmerzhaf­ten Einschnitt­en. Für wie groß halten Sie die Wahrschein­lichkeit, dass ein Hamburger Senat so unpopuläre Maßnahmen durchsetzt?

Die Wahrschein­lichkeit ist gering, es geht den Autofahrer­n in Hamburg noch (zu) gut. Wenn Sie aber noch ein paar Jahre warten und stundenlan­ge Staus an der Tagesordnu­ng sind, dann steigt der Leidensdru­ck und damit auch der Druck zu handeln.

„Wer außerhalb der Rushhour fährt, bekommt Geld.“ „Den Autofahrer­n in Hamburg geht es noch (zu) gut.“

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Prof. Wolfgang Maennig ist sich sicher, dass der Verkehrsin­farkt nur mit drastische­n Maßnahmen zu verhindern ist.
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Ein Bild, das vielen Hamburgern vertraut sein dürfte. In der Hansestadt steht man oft im Stau.

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