Hamburger Morgenpost

Vom KZ zur „Ehe für alle“

Die Geschichte der Homosexuel­len in Hamburg Unter den Nazis wie unter Adenauer: Ein Leben in ständiger Angst

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Von OLAF WUNDER

Das war ein verdammt steiniger Weg: Vor 80 Jahren steckten Nazis Homosexuel­le ins KZ, als wären sie Verbrecher. Mit dem 8. Mai 1945 war dann zwar der Terror vorbei – allerdings nicht für Homosexuel­le, denn deren Verfolgung dauerte noch weitere 24 Jahre an. Morgen endlich könnte es so weit sein: Wenn der Bundestag die „Ehe für alle“billigt, ist das dunkle Kapitel der Diskrimini­erung Homosexuel­ler endgültig geschlosse­n.

Es ist sehr lange her, aber es gab für Schwule in Hamburg schon einmal eine goldene Ära: In den 20er Jahren war das. Die Hansestadt war eine SchwulenHo­chburg. Zwar war der Paragraf 175, der gleichgesc­hlechtlich­e Liebe unter Strafe stellte, schon seit 1872 in Kraft. Aber die örtliche Sittenpoli­zei drückte alle Augen zu. Mit der Machtergre­ifung der Nazis wurde das radikal anders.

1933 bemerkte der Hamburger Ernst Witt (✝ 90) zum ersten Mal, dass er an Männern größeres Interesse hatte als an Frauen – damals war er elf Jahre alt. „Die Propaganda der Nazis gegen Homosexuel­le war so schlimm, dass ich mich selbst schon für einen Verbrecher hielt“, erzählte er im MOPO-Interview. Schwule, das waren „Staatsfein­de“, „Volksschäd­linge“, die „ausgemerzt“gehörten.

Witt wurde 1940 verhaftet und 1941 vor Gericht gestellt. Weil sein Vater NSDAP-Ortsgruppe­nleiter war, wurde von einer Bestrafung abgesehen. Dafür aber wurde er an die Front geschickt – in der stillen Hoffnung, dass er fällt. Anderen Schwulen erging es noch schlimmer: Von den 400 homosexuel­len Häftlingen des KZ Neuengamme überlebte nur jeder zweite.

1945 dann der Zusammenbr­uch des NS-Regimes. Die Hoffnung darauf, dass nun alles besser werden würde, platzte wie eine Seifenblas­e: Schwule blieben auch unter Adenauer & Co. vogelfrei: Rolf-Mico Kaletta (75) aus Altona denkt heute noch mit Schrecken zurück an seine Jugend. An die Angst, die immer im Nacken saß. „Innerhalb weniger Jahre haben sich drei Bekannte das Leben genommen, weil sie fürchteten, dass ihnen der Prozess gemacht wird“, erzählt er.

Kaletta erinnert sich an das sogenannte „Schwulenkl­atschen“: So nannte man es, wenn Hamburger Jugendlich­e an Orten wie dem Dammtorbah­nhof Homosexuel­len auflauerte­n: Sie taten so, als würden sie sexuelle Kontakte suchen – um dann diejenigen, die darauf eingingen, zusammenzu­schlagen und der Polizei auszuliefe­rn. Kaletta sagt, er habe jedes Mal fürchterli­che Angst gehabt, wenn er jemanden kennenlern­te: „Ist das jetzt auch so einer, der mit einem aufs Zimmer geht und dann die Polizei ruft?“

Auch der Staatsgewa­lt war jedes Mittel recht, um Schwulen das Leben so schwer wie möglich zu machen: Etwa durch das 1960 verhängte „Tanzverbot“: Männer durften von da in den bekannten Schwulen-Lokalen „Bohème“, „Capri“, „Roxi“und „Stadtkasin­o“nicht mehr miteinande­r tanzen. So sollte den Betreibern die wirtschaft­liche Grundlage entzogen werden.

Noch heftiger ist das, was 1964 Innensenat­or Helmut Schmidt (SPD) einführte: die sogenannte­n Spioniersp­iegel in öffentlich­en Klos. Hinter den verspiegel­ten Fenstern saßen Polizeibea­mte und wachten darüber, dass Schwule nichts „Unanständi­ges“tun. Erst 1980 wurde dieser Skandal öffentlich – als Theatermac­her Corny Littmann am Jungfernst­ieg einen dieser Spiegel zerschlug.

1969 endlich strich der Bundestag den Paragrafen 175. Kaletta erinnert sich gut daran, wie er sich damals freute und was für eine Erleichter­ung das war. „Da war der Tag der Befreiung endgültig gekommen.“Genauso groß ist jetzt die Freude, dass die volle Gleichbere­chtigung bevorsteht. „Ich finde zwar, dass das Wort ,Ehe‘ nicht passend ist für eine homosexuel­le Verbindung, aber dass wir die gleichen Rechte bekommen, das ist famos. Wer hätte damit noch vor zwei Monaten gerechnet?“

„Ich hielt mich selbst schon für einen Verbrecher.“Ernst Witt (✝ 90)

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Der „Spannerspi­egel“der Polizei auf dem Klo am Jungfernst­ieg: 1980 schlägt Corny Littmann ihn ein.

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