„Früher hat Olaf Scholz selbst Demos organisiert“
Attac-Aktivist Werner Rätz über G20-Proteste und den Bürgermeister
Er demonstriert ganz vorne mit, wenn es um TTIP und CETA geht, engagiert sich für das bedingungslose Grundeinkommen und referiert über Entwicklungspolitik. Werner Rätz (65) ist ein Urgestein in der Aktivistenszene. Die MOPO sprach mit dem Attac-Mitbegründer über G20-Protestaktionen, das Protestcamp – für das die globalisierungskritische Organisation notfalls auch bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen will – und über Olaf Scholz.
MOPO: Sind Sie wütend auf den Ersten Bürgermeister? Werner Rätz: Weil er den Hamburgern nahelegt, nicht zu Ihrer Groß-Demo am 8. Juli zu kommen. Stattdessen bewirbt er andere VeranstalGewalt tungen – die sich von distanziert haben.
Warum? Ich habe Olaf Scholz in den 80ern als Vertreter der Jungsozialisten kennengelernt. Die erste Demo, die wir gehaben, meinsam organisiert war am 10. Juni 1982: die Groß-Demo gegen den NATO-Gipfel in Bonn, gleichzeitig der erste Besuch von US-Präsident Ronald Reagan in Deutschland.
Klingt ähnlich wie jetzt.
Genau. Auch damals gab es Geunke ohne Ende, dass die Demo gewalttätig sein werde und nicht viele Leute kommen würden. Am Ende waren 450 000 Menschen da, alles blieb von Anfang bis Ende friedlich. Olaf Scholz hat das damals mit uns organisiert. Warum er sich daran nicht erinnert, ist mir unklar.
Möglicherweise sind die Voraussetzungen anders. Fakt ist: Die linke Szene macht keinen Hehl daraus, dass es beim G20-Gipfel zu Gewalt kommen wird.
Für Nicht-Hamburger könnte es scheinen, als gäbe es hier eine Art Ritual zwischen Teilen der Szene und Teilen des Polizeiapparats. Zum G20 bemühen sich aber alle sehr ernsthaft, einen gemeinsamen Ausdruck der Protestaktion hinzubekommen. Wir wollen, dass über unsere Inhalte gesprochen wird. Von Attac-Aktionen geht keine Gewalt aus.
Sind Sie vor so einem großen Gipfel eigentlich noch aufgeregt?
Ja, sicher! Mir geht es wie jedem Regisseur oder Schauspieler vor der Premiere.
Die kann ja auch verpatzt werden. Sie hatten angekündigt, dass 50 000 bis 100 000 Teilnehmer zur Demo kommen. Sind Sie enttäuscht, wenn es weniger sind?
Ja. 50 000 Menschen sind eine Messlatte, die wir für uns gelegt haben. Alles was deutlich darüber liegt, wäre ein besonderer Erfolg. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir mehr schaffen. Wenn es weniger werden, müsste man sich fragen, woran es lag.
Eine Erklärung wäre, dass gar nicht so viele Menschen ein Problem mit den G20 haben. Was stört Sie genau?
Wir finden es richtig, dass Staatsleute miteinander sprechen – aber nicht, dass Staatsleute für sich in Anspruch nehmen, Regulierungen zu schaffen, die für alle gelten. Die G20 haben sich Instrumente geschaffen, mit denen sie ihre Beschlüsse jenseits von UNO und Völkergemeinschaft durchzusetzen versuchen. Das kann kein demokratisches Verfahren in der Weltpolitik sein.
„Ich bin aufgeregt wie ein Regisseur vor der Premiere.“Werner Rätz, Attac
Sondern?
Die Entscheidungen, die alle und ganz besonders die Ärmsten angehen, gehören an den Ort, in dem alle versammelt sind: in die UNO.
Haben die G20 nichts erreicht?
Sie bekommen die Probleme nicht gelöst, weil sie weitgehend selbst für die Probleme verantwortlich sind. Das gilt für Krieg und Frieden, Klimawandel und weltweite Migrationsbewegungen. Bei diesen wichtigen Themen wird der Bock zum Gärtner. Das Interview führte MIKE SCHLINK
Attac-Mitbegründer Werner Rätz (65) ist ein Urgestein der Aktivistenszene.