Hamburger Morgenpost

Friedhof der Beuteltier­e

Wie eine Gruppe Kängurus in Perth (Australien) eine letzte Ruhestätte zu ihrem ersten Wohnsitz gemacht hat

- Von WOLFGANG STÜRZBECHE­R

Im Schritttem­po umrunden Autos das Gelände, wieder und wieder. Die Fahrer, Männer allen Alters, ihren rechten Arm lässig im offenen Fenster, halten Ausschau nach langen Beinen. Die Szenerie erinnert stark an einen, nun ja, Straßenstr­ich. Säßen auf den Rückbänken der meisten Autos nicht Kinder, die sich an den Scheiben ihre Nasen platt drücken, und auf den Beifahrers­itzen deren Mütter, die Fotoappara­te im Anschlag halten.

Hier hält niemand Ausschau nach Bordsteins­chwalben, sondern nach Riesenkäng­urus. Und hier, das ist der Pinnaroo Valley Memorial Park, einer von fünf Friedhöfen in der australisc­hen Metropole Perth, gelegen im nördlichen Außenbezir­k Padbury.

Vor Jahren hat es eine kleine Gruppe von Riesenkäng­urus auf diesen Friedhof verschlage­n. Sie sind gekommen, um zu bleiben. Seitdem wächst die Gruppe, die in erster Linie aus Weibchen und Jungtieren besteht. Es lebt sich für die oft in Wüstengebi­eten lebenden Beuteltier­e auf dem weitläufig­en Gelände des Friedhofs paradiesis­ch. Morgens wird die Wiese gewässert, so ist sie immer grün und saftig. Viele alte Bäume spenden an den bis zu 50 Grad Celsius heißen Sommertage­n Schatten, Gebüsche bieten Rückzugsmö­glichkeite­n.

In Berlin sagte mir eine Auswanderi­n, die dort ihren Vater beerdigt hat: „Wenn du in Perth meinen Vater auf dem Friedhof besuchen könntest, würde ich mich sehr freuen, aber nimm keine Blumen mit, das ist sinnlos!“Die Kängurus haben immer wieder Blumen und Pf anzen von den Gräbern gefressen, Hinterblie­bene und die Friedhofsv­erwaltung haben daher auf künstliche Blumen umgestellt. Sollten es Besucher doch mal mit echten Blumen versuchen, vergehen nur Augenblick­e, bis sich das erste Känguru dem Strauß nähert – und den Leckerbiss­en in aller Seelenruhe verspeist.

Unruhe kommt plötzlich auf. Der Grund ist schnell gefunden. Ein Männchen, deutlich größer als die Weibchen, mit viel Muskelmass­e im Brustberei­ch, guckt, seine geballte Kraft zur Schau tragend, nach dem Rechten. Dann verschwind­et es wieder in einem Gebüsch. Sofort versuchen die Jungtiere mit ihren Müttern zu kuscheln, um noch etwas Milch zu bekommen.

Am Abend geht es für mich zurück in die Innenstadt. Der Linksverke­hr macht mir zu schaffen. Kurz vor Sonnenunte­rgang erreiche ich den kleinen Hafen der Innenstadt. Dort unterhalte­n sich zwei Schlangenh­alsvögel krächzend über eine Entfernung von 50 Metern. Vielleicht reden sie über den dritten, der im Hafen versucht, einen Fisch mit seinem Schnabel zu harpuniere­n, nur sein Hals guckt beim Schwimmen aus dem Wasser. Perth fasziniert mich mit seiner Mischung aus alten und neuen Häusern, zerteilt von großen Flüssen, versehen mit mehreren fußballfel­dgroßen Rasenf ächen, begrenzt vom Indischen Ozean. Während am Tag Menschen den Rasen zur Freizeitge­staltung nutzen, sind es in den frühen Morgen- und Abendstund­en unterschie­dliche Vögel, darunter verschiede­nen Kakaduarte­n, die dort Gräser und Wurzeln erbeuten.

Am Morgen treffe ich Touristen, die schon mehrere Wochen in Australien weilen und Kängurus nur tot vom Straßenran­d kennen. Der Friedhof der Beuteltier­e ist für sie ein Muss. Aber auch die Taverne im John-Forrest-Nationalpa­rk bietet sich an. Dort verdösen Kängurus den Tag, um in der Dämmerung auf Nahrungssu­che zu gehen.

Viele Sehenswürd­igkeiten der Stadt sind kostenlos, so der Botanische Garten, von dem der Besucher einen atemberaub­enden Blick auf die Skyline hat. Die Einwohnerz­ahl von zwei Millionen hat die am schnellste­n wachsende Stadt Australien­s gerade überschrit­ten.

Zigtausend­e Menschen nutzen täglich eine der vier Buslinien, die einen kostenlos durch die Innenstadt fahren. Der Verkehr kommt dennoch immer öfter zum Erliegen.

Einen Abstecher wert ist Rottnest Island, 19 Kilometer vor Perth gelegen und mit Fähren zu erreichen. Auf der 11 Kilometer langen und 4,5 Kilometer breiten Insel mit 63 schönen Stränden und 20 wunderbare­n Buchten leben gut 100 Einwohner. Autos sind verboten, Busse fahren; Besucher können Fahrräder leihen.

Auf der bei Tagesgäste­n sehr beliebten Insel ist das am Festland ausgestorb­ene Quokka der Publikumsm­agnet. Es sieht aus wie eine Mischung aus Murmeltier, Hamster und Meerschwei­nchen. Da man die Beuteltier­e zuerst für eine Riesenratt­e hielt, nannte man die Insel „Rattennest“.

Entsetzt bin ich über den überall beworbenen Wildtierpa­rk, der Kängurus zum Streicheln und Füttern anbietet: Touristen stolpern über liegende Tiere, heben Köpfe schlafende­r Tiere für ein Selfie an und versuchen, ihnen Futter ins Maul zu stopfen.

Am letzten Tag fahre ich noch einmal auf den Friedhof der Beuteltier­e: Kängurus gucken.

Die Kängurus sind immer hungrig – sie fressen die Blumen von den Gräbern.

 ??  ?? Werden Besucher zu aufdringli­ch, flüchten die Kängurus. Die Beuteltier­e können bis zu zehn Meter weit springen. Alle viere von sich gestreckt ruht ein Känguru auf dem Friedhofsr­asen. Die Tiere sind längst auch für Nicht-Hinterblie­bene eine Sensation....
Werden Besucher zu aufdringli­ch, flüchten die Kängurus. Die Beuteltier­e können bis zu zehn Meter weit springen. Alle viere von sich gestreckt ruht ein Känguru auf dem Friedhofsr­asen. Die Tiere sind längst auch für Nicht-Hinterblie­bene eine Sensation....

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