Friedhof der Beuteltiere
Wie eine Gruppe Kängurus in Perth (Australien) eine letzte Ruhestätte zu ihrem ersten Wohnsitz gemacht hat
Im Schritttempo umrunden Autos das Gelände, wieder und wieder. Die Fahrer, Männer allen Alters, ihren rechten Arm lässig im offenen Fenster, halten Ausschau nach langen Beinen. Die Szenerie erinnert stark an einen, nun ja, Straßenstrich. Säßen auf den Rückbänken der meisten Autos nicht Kinder, die sich an den Scheiben ihre Nasen platt drücken, und auf den Beifahrersitzen deren Mütter, die Fotoapparate im Anschlag halten.
Hier hält niemand Ausschau nach Bordsteinschwalben, sondern nach Riesenkängurus. Und hier, das ist der Pinnaroo Valley Memorial Park, einer von fünf Friedhöfen in der australischen Metropole Perth, gelegen im nördlichen Außenbezirk Padbury.
Vor Jahren hat es eine kleine Gruppe von Riesenkängurus auf diesen Friedhof verschlagen. Sie sind gekommen, um zu bleiben. Seitdem wächst die Gruppe, die in erster Linie aus Weibchen und Jungtieren besteht. Es lebt sich für die oft in Wüstengebieten lebenden Beuteltiere auf dem weitläufigen Gelände des Friedhofs paradiesisch. Morgens wird die Wiese gewässert, so ist sie immer grün und saftig. Viele alte Bäume spenden an den bis zu 50 Grad Celsius heißen Sommertagen Schatten, Gebüsche bieten Rückzugsmöglichkeiten.
In Berlin sagte mir eine Auswanderin, die dort ihren Vater beerdigt hat: „Wenn du in Perth meinen Vater auf dem Friedhof besuchen könntest, würde ich mich sehr freuen, aber nimm keine Blumen mit, das ist sinnlos!“Die Kängurus haben immer wieder Blumen und Pf anzen von den Gräbern gefressen, Hinterbliebene und die Friedhofsverwaltung haben daher auf künstliche Blumen umgestellt. Sollten es Besucher doch mal mit echten Blumen versuchen, vergehen nur Augenblicke, bis sich das erste Känguru dem Strauß nähert – und den Leckerbissen in aller Seelenruhe verspeist.
Unruhe kommt plötzlich auf. Der Grund ist schnell gefunden. Ein Männchen, deutlich größer als die Weibchen, mit viel Muskelmasse im Brustbereich, guckt, seine geballte Kraft zur Schau tragend, nach dem Rechten. Dann verschwindet es wieder in einem Gebüsch. Sofort versuchen die Jungtiere mit ihren Müttern zu kuscheln, um noch etwas Milch zu bekommen.
Am Abend geht es für mich zurück in die Innenstadt. Der Linksverkehr macht mir zu schaffen. Kurz vor Sonnenuntergang erreiche ich den kleinen Hafen der Innenstadt. Dort unterhalten sich zwei Schlangenhalsvögel krächzend über eine Entfernung von 50 Metern. Vielleicht reden sie über den dritten, der im Hafen versucht, einen Fisch mit seinem Schnabel zu harpunieren, nur sein Hals guckt beim Schwimmen aus dem Wasser. Perth fasziniert mich mit seiner Mischung aus alten und neuen Häusern, zerteilt von großen Flüssen, versehen mit mehreren fußballfeldgroßen Rasenf ächen, begrenzt vom Indischen Ozean. Während am Tag Menschen den Rasen zur Freizeitgestaltung nutzen, sind es in den frühen Morgen- und Abendstunden unterschiedliche Vögel, darunter verschiedenen Kakaduarten, die dort Gräser und Wurzeln erbeuten.
Am Morgen treffe ich Touristen, die schon mehrere Wochen in Australien weilen und Kängurus nur tot vom Straßenrand kennen. Der Friedhof der Beuteltiere ist für sie ein Muss. Aber auch die Taverne im John-Forrest-Nationalpark bietet sich an. Dort verdösen Kängurus den Tag, um in der Dämmerung auf Nahrungssuche zu gehen.
Viele Sehenswürdigkeiten der Stadt sind kostenlos, so der Botanische Garten, von dem der Besucher einen atemberaubenden Blick auf die Skyline hat. Die Einwohnerzahl von zwei Millionen hat die am schnellsten wachsende Stadt Australiens gerade überschritten.
Zigtausende Menschen nutzen täglich eine der vier Buslinien, die einen kostenlos durch die Innenstadt fahren. Der Verkehr kommt dennoch immer öfter zum Erliegen.
Einen Abstecher wert ist Rottnest Island, 19 Kilometer vor Perth gelegen und mit Fähren zu erreichen. Auf der 11 Kilometer langen und 4,5 Kilometer breiten Insel mit 63 schönen Stränden und 20 wunderbaren Buchten leben gut 100 Einwohner. Autos sind verboten, Busse fahren; Besucher können Fahrräder leihen.
Auf der bei Tagesgästen sehr beliebten Insel ist das am Festland ausgestorbene Quokka der Publikumsmagnet. Es sieht aus wie eine Mischung aus Murmeltier, Hamster und Meerschweinchen. Da man die Beuteltiere zuerst für eine Riesenratte hielt, nannte man die Insel „Rattennest“.
Entsetzt bin ich über den überall beworbenen Wildtierpark, der Kängurus zum Streicheln und Füttern anbietet: Touristen stolpern über liegende Tiere, heben Köpfe schlafender Tiere für ein Selfie an und versuchen, ihnen Futter ins Maul zu stopfen.
Am letzten Tag fahre ich noch einmal auf den Friedhof der Beuteltiere: Kängurus gucken.
Die Kängurus sind immer hungrig – sie fressen die Blumen von den Gräbern.