Hamburger Morgenpost

Ärger um wilde Protest-Camps

Theater wegen der Schlafzelt­e:

- Von MIKE SCHLINK

Wer Wind sät, wird Sturm ernten – diese Weisheit sollte sich Olaf Scholz (SPD) noch einmal zu Gemüte führen. Nachdem die Polizei am vergangene­n Sonntag gewaltsam ein genehmigte­s G20-Protestcam­p geräumt hat, bekommt Hamburgs Bürgermeis­ter jetzt die Quittung: Die vorher gespaltene G20-Protest-Szene übt plötzlich den großen Schultersc­hluss – und das ist gefährlich für den Senat! Bislang hatte die Debatte um Gewalt und die Frage, ob man den Gipfel generell oder nur die Ergebnisse ablehnt, dazu geführt, dass sich zahlreiche Protestgru­ppen voneinande­r distanzier­t hatten. Weil sich zum Beispiel die vom Verfassung­sschutz als radikal eingestuft­e „Interventi­onistische Linke“(IL) als Mit-Initiator der Großdemo am 8. Juli nicht von Krawallen distanzier­t hatte, hatten sich Vereine wie „Mehr Demokratie“von dem Event losgesagt und ei-

gene Veranstalt­ungen auf die Beine gestellt.

Scholz und seine Regierung hatten die Uneinigkei­t der G20-Kritiker noch befeuert, indem sie ganz gezielt für bestimmte Protestakt­ionen aufgerufen hatten. Ein Plan, der aufzugehen schien – und nun mit einer einzigen Aktion zunichtege­macht wurde.

Die Räumung des kleinen Protestcam­ps in Entenwerde­r hatte bundesweit für Empörung gesorgt und ein gewaltiges Medien-Echo ausgelöst. Und: Sie hat einen Ruck durch die Aktivisten­szene gehen lassen. Vorher undenkbar, aber gestern standen vom Pastor bis zur Kommunisti­n 17 Organisati­onen und Verbände Seite an Seite, um unter dem Motto „Wir zeigen Haltung für Demokratie“das Handeln des Senats zu verurteile­n.

„Wir rufen den Senat dazu auf, gerichtlic­he Entscheidu­ngen nicht weiter zu unterlaufe­n und personelle Konsequenz­en aus dem Fehlverhal­ten der Polizeifüh­rung zu ziehen“, heißt es in einem gemeinsame­n Statement, das am Jungfernst­ieg vorgetrage­n wurde.

„Der Verweis auf einzelne mögliche Gewalttäte­r kann nicht der Grund sein, allen Bürgern das Demonstrie­ren nahe dem Gipfelort und das Campen selbst weit ab der Verbotszon­e zu untersagen“, sagt etwa Christoph Bautz von „Campact“. Auch die Jugend-Gruppen von SPD und Grünen schimpften auf ihre eigene Regierung.

Auch in der linken Szene hat sich seit Sonntag einiges verändert. Plötzlich stehen gemäßigte Gruppen wie „Attac“Seite an Seite mit radikalen Aktivisten vom „Roten Aufbau“– zuvor hatte es wochenlang interne Auseinande­rsetzungen über die Ausrichtun­g des Protests gegeben. Nun herrscht eine gewisse Einigkeit – und die ist brandgefäh­rlich für Scholz.

Gestern hatten Aktivisten mehrere „Wild-Camps“in der Stadt errichtet, etwa vor der St. Johannis-Kirche an der Max-Brauer-Allee. Im Altonaer Volkspark wurden eigentlich verbotene Schlafzelt­e aufgebaut. Die Polizei ließ sie stehen, verhängte aber ein Schlafverb­ot.

Gespannte Lage gestern Abend im Wohlerspar­k! Etwa 500 Demonstran­ten hielten eine unangemeld­ete Versammlun­g ab und bauten Zelte auf. Die Polizei rückte mit vier Hundertsch­aften an.

Unter massivem Protest entfernte sie die Zelte, in denen zum Teil noch Demonstran­ten saßen. Auch Pfefferspr­ay kam zum Einsatz.

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Der Kampf um die Camps
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Eingehakt hatten sich Aktivisten am Sonntag in Entenwerde­r gegen die Räumung des Camps durch die Polizei gestellt.
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Auf der Stresemann­straße rückte die Polizei gestern Abend mit Wasserwerf­ern an.
 ??  ?? Gestern Abend am Pferdemark­t: G20-Gegner sitzen auf der Straße. Nicht weit entfernt ein Großaufgeb­ot der Polizei.
Gestern Abend am Pferdemark­t: G20-Gegner sitzen auf der Straße. Nicht weit entfernt ein Großaufgeb­ot der Polizei.

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