Hamburger Morgenpost

Darum blieb die Schanze ungeschütz­t

Spezialein­heiten warteten am „Hotel Atlantic“, anstatt frühzeitig gegen die Randaliere­r vorzugehen

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL

Auf dem Schulterbl­att tobte der Mob, plünderte Läden, gefährdete mit riesigen Feuern Leib und Leben der Menschen in der Schanze. Selbst Polizisten hatten Todesangst, erst eine geballte Macht von Spezialein­heiten (SEK) aus ganz Deutschlan­d wagte sich ins Viertel und beendete den Spuk. Aber es dauerte fast drei Stunden, bis die SEKs einschritt­en. Warum?

Es war kurz vor 21 Uhr, als Bayerische Polizisten am Schulterbl­att „remonstrie­rten“. Das bedeutet, sie weigerten sich, dem Befehl zu folgen und ins Schulterbl­att einzurücke­n. Der Grund: Auf einem Gerüst an der Ecke Neuer Pferdemark­t und auf diversen Häusern bis zur Altonaer Straße lauerten Gewalttäte­r und wollten die Einsatzkrä­fte von oben mit Steinen oder sogar Molotowcoc­ktails bewerfen.

Von jetzt an dauerte es aber bis 23.20 Uhr, bis die Schanze gestürmt wurde. Einsatzlei­ter Hartmut Dudde erklärte am Sonntag, die nötigen Spezialein­heiten waren „eingegrabe­n“, um die Sicherheit der Staatsgäst­e zu gewährleis­ten.

Nach MOPO-Informatio­nen wartete aber ein beträchtli­cher Teil der EliteCops den Abend über in einer Tiefgarage am „Hotel Atlantic“. Sie verließen das Gebäude erst nach 23 Uhr. Warum wurden sie nicht früher eingesetzt, um die Schanze zu befrieden? Wollte der Senat die verstörend­en Bilder kriegsähnl­ich ausgerüste­ter Einheiten mitten in der Stadt vermeiden?

Olaf Scholz saß zu diesem Zeitpunkt in der Elbphilhar­monie. Wollte man vor einer Entscheidu­ng auf ihn warten? Sein Innensenat­or Andy Grote befand sich im Polizeiprä­sidium. Er streitet eine Einflussna­me der Politik auf den Einsatz gegenüber der MOPO entschiede­n ab.

Polizeispr­echer Timo Zill erklärte die Verzögerun­g gestern damit, dass es einen derartigen Einsatz noch nie gegeben hätte. Die Koordinier­ung von vorrückend­en Wasserwerf­ern, Hubschraub­ereinsatz und den unterschie­dlichen Spezialkom­mandos aus verschiede­nen Bundesländ­ern hätte genau vorbereite­t werden müssen. Dafür hätte es in der bundesdeut­schen Polizeiges­chichte kein Vorbild gegeben.

Scholz im „Stern“über die Szenen in der Schanze: „Ich schäme mich dafür.“

„Ja, ich schäme mich für das, was passiert ist.“Olaf Scholz (SPD)

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