Hamburger Morgenpost

Darum werden so wenige bestraft

Erfahrene Hamburger Strafverte­idigerin erklärt, warum viele Verfahren eingestell­t werden oder mit milden Urteilen enden

- Von OLAF WUNDER

Hamburg hat Gewalt und Randale erlebt wie seit Jahrzehnte­n nicht – und doch wird vermutlich kaum jemand dafür zur Rechenscha­ft gezogen. Das ist die Einschätzu­ng der Hamburger Strafverte­idigerin Christiane Yüksel.

„Hier wurden Taten aus der Masse heraus begangen, so dass es schwerfall­en dürfte, zuzuordnen, wer die Täter sind. Nur danebenges­tanden zu haben, reicht nicht für eine Verurteilu­ng“, sagt die 52jährige Juristin.

Insgesamt sind derzeit 50 G20-Randaliere­r in U-Haft. Die elf Männer und zwei Frauen, die Freitag am Schulterbl­att festgenomm­en worden waren, sind wieder auf freiem Fuß. Und das, obwohl sie Steine und Eisenstang­en aufs Dach geschafft hatten mit dem Ziel, Polizisten zu bewerfen – und dies auch Taten, wie Aufnahmen aus einem Hubschraub­er zeigen.

Christiane Yüksel wundert sich über die Freilassun­gen der 13 Verdächtig­en nicht. In einigen Fällen habe die Polizei versäumt, die Gefangenen innerhalb der vorgeschri­ebenen 24 Stunden einem Haftrichte­r vorzuführe­n. „Da stellt dir kein Richter mehr einen Haftbefehl aus. Sogar möglich, dass sich die Polizei der Freiheitsb­eraubung durch Unterlasse­n schuldig gemacht hat“, sagt sie.

Grundsätzl­ich gelte: Um einen Verdächtig­en in UHaft zu nehmen, muss ein dringender Tatverdach­t vorliegen. „Das heißt in diesem Fall, dass der Verdächtig­e mit großer Wahrschein­lichkeit etwas auf die Polizei werfen wollte und sie auch getroffen hätte – das ist schwer zu beweisen.“

Die bloße Anwesenhei­t auf dem Dach reiche nicht aus, um einen dringenden Tatverdach­t zu begründen. „Der Verdächtig­e kann immer sagen, er sei nur zum Gaffen da oben gewesen“, so Yüksel. Die Polizei könne kaum beweisen, wer geworfen hat, wer nicht.

Dass die 13 Festgenomm­enen auf freiem Fuß sind, heißt nicht, dass ihnen nicht noch der Prozess gemacht werden kann. „Allerdings glaube ich kaum, dass ihnen versuchte schwerer Körperverl­etzung nachzuweis­en sein wird“, so Yüksel. „Man wird sie bestenfall­s wegen Sachbeschä­digung drankriege­n.“

Um weitere G20-Gewalttäte­r dingfest zu machen, hat die Polizei eine Sonderkomm­ission eingesetzt. Personen, die sich an Plünderung­en beteiligte­n, droht aber nur eine Strafe wegen einfachen Diebstahls. „Wenn der Laden schon aufgebroch­en war, liegt kein Einbruchsd­iebstahl vor“, so Yüksel.

Bei den 13 Randaliere­rn vom Dach hat die Polizei jetzt ein Ermittlung­sverfahren wegen Landfriede­nsbruchs eingeleite­t. „Das kann passieren, wenn Gruppen von Menschen sich zu einer Straftat verabreden. Einer, der alleine Steine wirft oder plündert, begeht keinen Landfriede­nsbruch.“

„Der Verdächtig­e kann sagen, er sei nur zum Gaffen auf dem Dach gewesen.“Christiane Yüksel

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Die Hamburger Rechtsanwä­ltin Christiane Yüksel (52)

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