Hamburger Morgenpost

„Wir haben geschossen“

Polizisten berichten: Warum sie am Schulterbl­att Spezialmun­ition einsetzten – und Beamte um ihr Leben fürchteten

-

Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL

„Der Schusswaff­engebrauch war für uns freigegebe­n“und „Wir sollten eindeutig in einen Hinterhalt gelockt werden“: Erstmals nach den schweren Ausschreit­ungen am Schulterbl­att sprechen jetzt Einsatzfüh­rer über ihre Erfahrunge­n bei der Schulterbl­att-Räumung, die alles bei der Polizei bisher Dagewesene überstieg. Dabei kam heraus: Die Beamten schossen scharf !

Sven Mewes ist seit mehr als 30 Jahren bei der Polizei und als Chef des sächsische­n Spezialein­satzkomman­dos (SEK) hat er so manche brenzlige, ja lebensgefä­hrliche Situation gemeistert. Doch das, was sich in der Nacht zum Sonnabend in der Schanze abspielte, hat ihn geschockt. Der 57-jährige Polizeidir­ektor: „Solche Gewalt hab ich noch nie erlebt. Das war für uns gefühlsmäß­ig kein Vorgehen gegen Demonstran­ten, sondern gegen mögliche Verbrecher, die versucht haben, sowohl Polizeibea­mte als auch die Bevölkerun­g an Leib und Leben zu schädigen – möglicherw­eise sogar lebensgefä­hrlich zu verletzen.“

Mewes’ Job war es, zusammen mit seinen 40 SEK-Leuten als Erste das Haus an der Ecke Schulterbl­att/Neuer Pferdemark­t zu stürmen. Andere Elite-Einheiten waren abgezogen worden, weil sie derartig von Dächern mit Zwillen oder Steinen unter Beschuss geraten waren, dass trotz Schutzklei­dung Lebensgefa­hr bestand.

SEK-Chef Mewes: „Wir rechneten damit, auch auf mit Schusswaff­en bewaffnete Straftäter zu treffen. Unser Vorgehen war dementspre­chend extrem robust. Wir haben Ablenkungs­pyrotechni­k in den Gebäuden eingesetzt und geschlosse­ne Türen mittels Schusswaff­en und spezieller Munition geöffnet.“

Der Beamte weiter: „Es hat keine Gegenwehr gegeben. Wir habe in den ersten beiden Häusern Straftäter stellen können, die sich sofort ergeben haben. Insgesamt haben wir sechs oder sieben Häuser durchsucht. Es gab 13 Festnahmen.“

Ein leitender Beamter aus Hamburg, der nicht genannt werde wollte, sagte der MOPO gestern: „Unsere zivilen Aufklärung­skräfte im Viertel hatten uns schon früh informiert, dass es heute viel härter werden würde als bei den ,üblichen‘ Krawallen auf dem Schulterbl­att.“Es gab laut dem Beamten Erkenntnis­se, dass Zwillen verteilt und große Mengen Wurfgescho­sse auf viele Dächer geschafft würden. Vom Hubschraub­er sah man, dass sich Gewalttäte­r auf diversen Dächern aufhielten.

Der Beamte: „Als wir nur wenige Meter mit Wasserwerf­ern ins Schulterbl­att einrückten, wurde wir dermaßen beschossen und beworfen, dass wir den Rückzug antreten mussten.“Auch ein „Entlastung­sangriff “von der Altonaer Straße wurde von Steinewerf­ern an der Bahnbrücke gestoppt.

Als die Wasserwerf­er zum Auftanken abdrehten, gerieten Einheiten dermaßen in Bedrängnis, dass sie mit Spezialgew­ehren CS-Tränengas verfeuerte­n – das ist nur im Notwehrfal­l erlaubt.

Schließlic­h gab es noch Erkenntnis­se, dass das Schulterbl­att mit gespannten Stahlseile­n gesperrt werden sollte. Wenn Räumpanzer sich dort festgefahr­en hätten, sollten sie mit Molotowcoc­ktails und anderen Wurfgescho­ssen eingedeckt werden. Schließlic­h wurde es sogar so brenzlig, dass auch die zivilen Beamten das Viertel verließen. In dieser Situation alarmierte der Einsatzlei­ter die eigentlich zur Terrorabwe­hr vorgesehen Spezialein­heiten. Doch auch nach dem SEK-Eingriff gab es demnach noch eine einstündig­e Straßensch­lacht, bis es ruhiger wurde.

„Wir gingen nicht gegen Demonstran­ten vor, sondern gegen Verbrecher.“

 ??  ?? Vor allem das SEK Sachsen und die österreich­ische Spezialein­heit „Cobra“waren am Schulterbl­att im Einsatz.
Vor allem das SEK Sachsen und die österreich­ische Spezialein­heit „Cobra“waren am Schulterbl­att im Einsatz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany