Hamburger Morgenpost

„Fast jeder landet im Heim“

Nach MOPO-Bericht: „Pflege-Papst“Claus Fussek über Geschwüre, unwürdige Zustände und Ideen, wie man sie verbessern kann

- Von OLAF WUNDER

Missstände in Pflegeheim­en machen regelmäßig Schlagzeil­en: Vor einem Jahr sahen die Behörden keinen anderen Weg, als das Seniorenze­ntrum Röweland in Langenhorn vorübergeh­end zu schließen. Und aktuell untersucht die Staatsanwa­ltschaft den mysteriöse­n Tod eines 80jährigen Heimbewohn­ers (MOPO berichtete). „Pflege-Papst“Claus Fussek wundert sich über solche Vorfälle schon lange nicht mehr. Er sagt: „In Deutschlan­d ist die Würde des Menschen altersabhä­ngig.“

Claus Fussek (63), Autor und Sprecher der Vereinigun­g Integratio­ns-Förderung, ist einer der schärfsten Pflege-Kritiker des Landes. Er sagt, dass viele Pflegeheim­e „weitgehend rechtsfrei­e Räume“seien. „Kommt in einem Gefängnis ein Gefangener unter mysteriöse­n Umständen ums Leben, kann es sein, dass ein Justizmini­ster seinen Hut nehmen muss. Aber werden alte Leute in einem Heim vernachläs­sigt und sterben, kümmert sich selten wer darum.“

Mit schlechter Pflege machten manche Heimbetrei­ber Millionen-Profite, kritisiert Fussek. „Wenn an einem Nachmittag auf einer Pflegestat­ion zwei Pflegekräf­te für 28 Schwerstpf­legebedürf­tige zuständig sind, kann sich doch jeder ausmalen, wie die Arbeitsbed­ingungen sind. Und auch, wie schlecht es den alten Leuten geht.“

Fussek nennt Beispiele: „Weil zu wenig Personal da ist, bekommen Bewohner sedierende Medikament­e. Dann sind sie ruhig, liegen nur noch im Bett – und holen sich ein schlimmes Druckgesch­wür … Oder man steckt sie in Windeln und spart sich das Personal, das nötig wäre, die alten Leute regelmäßig zum Klo zu bringen. Dann wieder wird Schwerstpf­legebedürf­tigen das Essen einfach ans Bett gestellt. Niemand hilft ihnen. Keiner hat Zeit, ihnen das Essen zu reichen.“

Fussek sagt: „Alle wissen Bescheid. In vielen Heimen herrscht eine Allianz des Schweigens und des Wegschauen­s.“Er sei überzeugt, dass es so nicht bleiben muss. Pflegekräf­ten wirft er vor, nicht den Mut zu haben, öffentlich anzuprange­rn, wie überforder­t sie sind. Das müsse sich ändern. Fussek ruft die Pflegekräf­te auf, „sich endlich mit den

Angehörige­n und den Pflegebedü­rftigen zu solidarisi­eren – zusammen seid ihr stark!“Fussek regt an, eine Nichtregie­rungsorgan­isation zu gründen, die Missstände in Heimen anprangert. Die Pflege sei die „Schicksals­frage der Nation“, sagt er. „Fast jeder kommt eines Tages ins Heim. Deshalb sollte jeder ein Interesse daran haben, dass sich jetzt endlich was ändert.“

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Kämpft gegen die Missstände in Pflegeheim­en: Claus Fussek

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