Hamburger Morgenpost

Das ukrainisch­e Duo Zhovty Mercedes verzaubert Passanten in der City

Altstadt

-

WVon OLAF WUNDER

enn Andrii und Denis Bachs „Ave Maria“spielen, dann wird der geschäftig­e Rathausmar­kt plötzlich zu einer Konzertare­na. Die Musik der beiden ist wie Magie: Passanten, die gerade noch hektisch über den Asphalt eilten, bleiben unversehen­s stehen. Der Puls, der eben noch bei 180 war, sinkt auf 60. Die Welt scheint stillzuste­hen – jedenfalls für 3:50 Minuten.

Die beiden, denen dieses kleine Wunder gelingt, sind Andrii Kharin (27), der Cello, und Denis Koliadenko (25), der Bandura spielt, ein Lauteninst­rument mit 64 Saiten. Andrii studiert am Konservato­rium in Lemberg, Denis besucht die Nationale Musikakade­mie in Kiew. Wahrschein­lich hätten beide das Zeug für die Laeiszhall­e. Ihr Gastspiel in Hamburg findet derzeit jedoch im Freien statt. Sie sind Straßenmus­ikanten, ihre Bühne ist die Bordsteink­ante. Andrii und Denis stammen aus der Ukraine, einem Land, das sich nicht nur im Krieg mit Russland, sondern auch im Würgegriff der Korruption befindet. Ein großer Teil der Bevölkerun­g kämpft ums Überleben. Hier hat ein Musiker, und sei er noch so gut, keine Chance, seinen Lebensunte­rhalt zu verdienen – jedenfalls nicht mit Musik.

„Ich hatte mich gerade um eine Stelle als Lagerarbei­ter beworben“, erzählt Andrii, „als mich mein alter Studienfre­und Denis ansprach, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm durch Europa zu touren. Wir haben uns dann bei Freunden Geld geliehen für das Visum und sind 2015 nach Polen gefahren.“

Härter, als es sich die meisten hierzuland­e vorstellen können, ist so ein Leben als Straßenmus­iker. Schon nach drei Tagen war Denis den Tränen nahe. Das Wetter war schlecht, die Einnahmen nicht der Rede wert, und weil sie kein Geld hatten, schliefen sie entweder unter Brücken oder in billigen Absteigen. 14 Tage lang spielten sie in Warschau, Danzig und Krakau täglich acht Stunden, mal Bach und Beethoven, mal Tango und Walzer – und hatten am Ende doch nur 400 Euro verdient.

2016 dann der erste Trip nach Deutschlan­d. Ein uralter VW Golf, den sie sich für 300 Euro angeschaff­t hatten, diente als Transportm­ittel und Schlafplat­z gleicherma­ßen. Bequem waren die Nächte nicht: „Zwar passte meine Bandura in den Kofferraum, aber was sollten wir mit dem Cello machen?“, erzählt Denis und kichert. „Das musste also irgendwie zusammen mit uns vorne Platz finden. Ich kann gar nicht beschreibe­n, wie verrenkt wir gelegen haben. Einer auf dem Rücksitz, einer auf den Vordersitz­en – und über uns das riesige Instrument. Das sah aus wie Slapstick.“

Hamburg – für die beiden ist diese Stadt inzwischen so etwas wie die zweite Heimat. „Wir wissen jetzt ganz genau, welche Plätze besonders lukrativ sind“, sagt Andrii. Die meisten Münzen landen im Cellokaste­n, wenn sie auf dem Platz an der Rathaussch­leuse spielen. Je nach Wetter sind 20 bis 100 Euro am Tag drin. Sehr gerne treten sie auch vor dem Strandhote­l in Blankenese auf. Wenn sie dort spielen, so erzählen sie, kommt sogar ein Kellner nach draußen und bringt ihnen ein Bier.

Viele Freunde haben Andrii und Denis in Hamburg gefunden. Deshalb gehören Nächte im Auto, unter Brücken oder in Absteigen der Vergangenh­eit an. Immer wenn sie in der Stadt sind, steht irgendwo ein Gästebett für sie bereit. Derzeit wohnen sie bei Julia Marushko von der Künstlerve­reinigung „ArtMaidan“, einer Künstlerin, die regelmäßig deutsch-ukrainisch­e Kulturvera­nstaltunge­n auf die Beine stellt.

Nach drei Tagen war Denis den Tränen nahe Ihr größter Wunsch: Ein gelber Mercedes

Und sie kümmert sich wirklich rührend: Ihr Freund Till war sogar so hilfsberei­t, den Musikern eine Homepage zu bauen. Seither hat das Duo auch einen richtigen Namen. Zhovty Mercedes, so nennen sie sich jetzt. Das bedeutet so viel wie „Gelber Mercedes“.

Andrii versteht gar nicht, warum jemand diesen Namen seltsam findet, und ist irritiert über die Frage, was es damit auf sich hat: „Na, ist doch klar: Wir hoffen, eines Tages so viel Erfolg zu haben, dass wir uns einen gelben Mercedes kaufen können. Davon träumt doch jeder, oder etwa nicht?“

Kontakt: www.zhovty.com

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany