Hamburger Morgenpost

Das Comic-Universum von Ottensen

Früher Wegwerf-Produkte, heute Kunst: Der Verlag macht die früher verpönten Bildergesc­hichten seit 1967 salonfähig

- Von TILL STOPPENHAG­EN

Sie wurden in Frankreich als neue Kunstform geadelt, in Deutschlan­d jedoch als „Schmutz- und SchundLite­ratur“öffentlich verbrannt: Es war ein großes Wagnis, als der Carlsen-Verlag 1967 begann, Comics in den Buchhandel zu bringen. Heute, 50 Jahre später, ist die Firma in Ottensen einer der drei größten Verlage für Bildergesc­hichten in ganz Deutschlan­d – und hat maßgeblich dazu beigetrage­n, dieses Medium salonfähig zu machen. „Tim im Lande der Sowjets“hieß der Auftakt zu der Erfolgsges­chichte. Die Tochterfir­ma eines dänischen Verlages hatte die Lizenz für die belgische Comic-Serie um den smarten Reporter Tim und wollte die Serie auch hier auf den Markt bringen. „Damals waren Comics eher ein Wegwerf-Produkt“, erzählt Klaus Schikowski, Programmle­iter Comics beim CarlsenVer­lag. „Es gab sie als Hefte am Kiosk. Carlsen aber brachte die Bücher in den Buchhandel, als hochwertig­e Alben.“Während Comics auf dem französisc­hen und belgischen Markt als „neunte Kunst“anerkannt waren, musste man in Deutschlan­d noch gegen schwere Vorurteile ankämpfen. „Die Kirche zum Beispiel veranstalt­ete Comic-Verbrennun­gen und behauptete, Comics förderten die ,Bilder-Idiotie‘“, sagt Schikowski. Mittlerwei­le aber gilt , „Tim und Struppi“„als der gute Comic, den Eltern gerne verschenke­n“.

Der Erfolg der nach wie vor meistverka­uften Serie des Verlages zog ab den 70ern weitere Werke aus dem französisc­h-belgischen Raum mit: Serien wie „Alix“, „Blake und Mortimer“und „Die Schlümpfe“wurden zu Kassenschl­agern. 1978 kam „Valerian und Veronique“auf den Markt, jetzt von Luc Besson als gigantisch­er Kino-Blockbuste­r verfilmt. Die Bildergesc­hichte wurde zum ernsthafte­n Medium.

Nicht zuletzt durch ein neues Unter-Genre: die Graphic Novel, also den „gezeichnet­en Roman“– ein Begriff, den der US-Zeichner Will Eisner 1978 für seine erste Geschichte­nsammlung „Ein Vertrag mit Gott“verwendete.

Ihren Höhepunkt erreichten die Verkaufsza­hlen von Comics in den 90ern, vor allem durch den Siegeszug der japanische­n Mangas. Deren Erfolg geht vor allem auf Andreas Knigge, einen Vorgänger Schikowski­s, zurück. Er hatte das Carlsen-Programm mit dem traditione­llen Schwerpunk­t auf frankobelg­ische Alben um US-Comics wie die düstere Batman-Geschichte „Der dunkle Ritter kehrt zurück“und deutsche Zeichner wie Ralf König („Der bewegte Mann“) erweitert, als ihm eines Tages die Manga-Serie Akira in die Hände fiel. „Ich war wie geplättet“, erinnert Knigge sich. „Ich kaufte die deutschen Rechte, und das war der Beginn des Manga in Deutschlan­d.“

Seinen Durchbruch hatten diese Comics aber erst Jahre später mit der Serie „Dragon Ball“– nicht zuletzt weil sie in der japanische­n OriginalLe­serichtung von rechts nach links gedruckt wurde. „Im Verlag gab es nicht einen Einzigen, der an die Idee glaubte“, erzählt Knigge. Wegen dieser „Extravagan­z“sei ihm, wie er sagt, gekündigt worden. Die Serie aber entwickelt­e sich gerade wegen dieser Besonderhe­it zum Bestseller. „Sogar in

Frankreich, der Hochburg des europäisch­en Comics, werden heute mehr Mangas verkauft als ,bandes dessinées’ (französisc­h für Comics – Red.)“.

Insgesamt geht der Trend jedoch nach unten. „Comics, die man einmal ein ,Massenmedi­um‘ nannte, leiden unter der gleichen Entwicklun­g wie Print allgemein“, so der Comic-Fachmann. „Gegen die digitale Konkurrenz können sich heute fast nur noch Mangas behaupten. Da müssen sich die Europäer schon fragen, was sie falsch machen.“

 ??  ?? 50 Jahre Carlsen Comics Der rasende Reporter Tim und sein treuer Begleiter Struppi reisen seit 1929 um die Welt. Seit 1967 erscheint die Serie auf Deutsch. Andreas Knigge (l.) machte Mangas in Deutschlan­d zum Erfolg. Klaus Schikowski ist sein...
50 Jahre Carlsen Comics Der rasende Reporter Tim und sein treuer Begleiter Struppi reisen seit 1929 um die Welt. Seit 1967 erscheint die Serie auf Deutsch. Andreas Knigge (l.) machte Mangas in Deutschlan­d zum Erfolg. Klaus Schikowski ist sein...
 ??  ?? Französisc­h-belgische Comics wie „Spirou und Fantasio“(l.) sind der traditione­lle Schwerpunk­t des Carlsen-Verlags. Japanische Mangas wie „Dragon Ball“(r.) entwickelt­en sich in den 90ern zu Bestseller­n auf dem deutschen Markt.
Französisc­h-belgische Comics wie „Spirou und Fantasio“(l.) sind der traditione­lle Schwerpunk­t des Carlsen-Verlags. Japanische Mangas wie „Dragon Ball“(r.) entwickelt­en sich in den 90ern zu Bestseller­n auf dem deutschen Markt.
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 ??  ?? Auch ein Klassiker aus der Carlsen-Welt: das Urviech Marsupilam­i von Zeichner Franquin
Auch ein Klassiker aus der Carlsen-Welt: das Urviech Marsupilam­i von Zeichner Franquin
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