Hamburger Morgenpost

„Merkel hat keinen Plan“

SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann über miese Umfragewer­te und eine feige Kanzlerin

-

Alles im Griff! Gelassen und gut gelaunt kam Thomas Oppermann zum Gespräch in die Redaktion. Der SPD-Fraktionsc­hef ist Optimist – und sich ganz sicher,dasstrotzd­erf auenUmfrag­en nach der Bundestags­wahl nichts ohne die SPD geht.

MOPO am Sonntag: Anfang des Jahres stand die SPD in Umfragen bei 30 bis 35 Prozent, da lief irgendwas richtig gut. Jetzt steht sie bei 20 bis 25 Prozent, da läuft was richtig schlecht. Wie wollen Sie das wieder ändern? Thomas Oppermann: Martin Schulz hat im Frühjahr eine große Begeisteru­ng ausgelöst, auch über die SPD-Wählerscha­ft hinaus. Dann war die Anfangseup­horie vorbei und wir haben auch Fehler gemacht, Landtagswa­hlen verloren. Doch die Glaubwürdi­gkeit von Martin Schulz ist immer noch ein wichtiger Faktor für die SPD. Er ist ein authentisc­her Politiker mit klarer Haltung. Wir haben in diesen Monaten 20 000 neue Mitglieder bekommen, die Hälfte unter 35. Aber warum hat sich das so schnell abgenutzt? Das Potenzial ist immer noch da. Jetzt müssen in den letzten Wochen vor der Wahl die genauen Unterschie­de zwischen SPD und Union herausgear­beitet werden, denn die sind gravierend: bei der Rentenhöhe, beim Renteneint­ritt, bei der Krankenkas­se mit gleichen Beiträgen für Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er, bei einer Steuerrefo­rm. Alles sehr ansehnlich­e Punkte. Aber glauben Sie wirklich, dass Sie damit in den wenigen Wochen bis zur Wahl noch eine Welle auslösen können, so in der Art, wie der britische LabourChef Jeremy Corbyn oder der linke US-Präsidents­chaftskand­idat Bernie Sanders das geschafft haben? Acht Wochen vor der Wahl galt Macron nicht als Sieger, acht Wochen vor der Wahl war Corbyn komplett abgeschlag­en, hat dann eine furiose Auf oljagd gestartet. Und acht Wochen vor der Wahl war Hillary Clinton die sichere Präsidenti­n der USA. Ich sage Ihnen: In den nächsten acht Wochen wird noch viel passieren. Die SPD ist hochmotivi­ert und identifizi­ert sich mit Martin Schulz. Das Elend der SPD ist aber auch, dass Sie der kleinere Partner in der Koalition sind – und dass Sie stets gefragt werden, warum Sie denn bislang all das nicht umgesetzt haben. Es ist kein Naturgeset­z, dass der kleinere Partner in einer Koalition die schlechter­en Karten hat. Wir haben in dieser Regierung gute Arbeit gemacht, darauf bin ich stolz. Wir haben 80 bis 90 Prozent von dem, was wir vor der Wahl versproche­n haben, auch umgesetzt. Wir haben gezeigt, dass die SPD Lösungskon­zepte hat und die dann auch in schwierige­n Verhandlun­gen umsetzt. Aber vernachläs­sigen Sie da nicht den emotionale­n Aspekt? Und die Tatsache, dass die Wähler am Ende sagen: Das lassen wir mal alles Mutti machen, weil wir uns bei der gut aufgehoben fühlen? Und mit den Details mag man sich dann gar nicht beschäftig­en. Was Sie bei Merkel beschreibe­n, sind ja keine Emotionen. Sondern es ist ihr wahltaktis­ches Kalkül, auf die Bequemlich­keit der Menschen zu setzen. Sie haben recht: Um Wähler zu mobilisier­en, brauchen wir Emotionen. Es gibt ein großes Bedürfnis der Wähler nach Stabilität. Aber die Leute verstehen auch, dass wir die Probleme nur lösen können, wenn Europa zusammenge­schmiedet wird. Und da war die Kanzlerin bisher eine große Aussitzeri­n. Manches Problem hat sie sogar verschärft. Helmut Kohl hätte es niemals zugelassen, dass die Griechenla­nd-Krise so groß wird. Der hätte 2010 die Sache im Keim erstickt. Den Griechen geholfen, einen funktionsf­ähigen Staat aufzubauen, aber zugleich das Thema mit der Verschuldu­ng abgeräumt. Merkel und Schäuble haben mit dem erhobenen Zeigefinge­r und Besserwiss­erei halb Europa gegeneinan­der aufgebrach­t. Wir müssen jetzt Europa wieder zusammenbr­ingen. Dafür ist Martin Schulz der bestmöglic­he Kandidat – er kennt Europa und er brennt für Europa. Aber er wird sich auch darauf einstellen müssen, dass Sie die bestehende Koalition fortsetzen müssen. Wir werden keinen Koalitions­Wahlkampf führen. Jeder kämpft für sich. Und wir kämpfen nur für eine starke Sozialdemo­kratie. Nach der Wahl können wir mit allen reden, mit Ausnahme der Af . Sonst schließen wir nichts aus. Die Mehrheit der Deutschen scheint die Große Koalition weiter zu bevorzugen. Ist das nicht eine verheerend­e Erkenntnis für die SPD? Es ist nicht gut für unser d mokratisch­es System, wenn die Große Koalition eine Dauereinri­chtung wird. So eine starke Mehrheit im Parlament schwächt die Opposition. Die Grünen und die Linken waren nicht nur zahlenmäßi­g schwach, sie haben ch schlechte Opposition­sarbeit emacht. Sie waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftig­t. Die Linken kritisiere­n immer nur ihre Lieblingst­hemen und die Grünen haben sowieso ein bisschen den Anschluss verloren. Im Bundestag fehlte eine starke Opposition. Es ist an der Zeit, dass die Union mal wieder diese Rolle übernimmt. Die Union wird sich freuen! Wir kämpfen für 30 Prozent und dann bin ich sicher, dass es keine Regierung gegen die SPD geben wird. Martin Schulz war gerade auf Sizilien, hat das Drama im Mittelmeer und die Flüchtling­sproblemat­ik zu einem wichtigen Wahlkampft­hema gemacht. Die Union würde vermutlich

 ??  ??
 ??  ?? „Bei den Flüchtling­en verweigert die Union sich einer Lösung.“
„Bei den Flüchtling­en verweigert die Union sich einer Lösung.“
 ??  ?? „Nach der Wahl schließen wir nichts aus.“
„Nach der Wahl schließen wir nichts aus.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany