Hamburger Morgenpost

Müll kommt Hannah nicht ins Haus

Eine Münchner Familie hat ihren Lebensstil radikal verändert – ihr jährlicher Abfall passt in ein Einmachgla­s

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Von JOACHIM ORTMANN

München

– Heute ist Erdüberlas­tungstag. Er soll uns daran erinnern, dass die Ressourcen der Welt irgendwann erschöpft sind. Auf ein Jahr gerechnet, leben wir ab heute auf Pump. Für eine Familie in München gilt das nicht. Um die Welt zu retten, hat sie ihren Lebensstil verändert.

Rund 600 Kilogramm Abfall erzeugt jeder Bundesbürg­er im Schnitt. Unendlich viele Mülltonnen werden damit gefüllt. Die Münchner Familie behauptet nun: „Unser jährlicher Abfall passt in ein Einmachgla­s!“Nur ein paar Gramm statt 400 Kilo? Geht doch gar nicht. Oder doch? „Ja, es geht!“sagt Hannah Sartin (32).

Sie, ihr Mann Carlo (35) und die Kinder Emma (5) und Holly (3) leben seit drei Jahren ohne Müll. Keine Plastiktüt­e kommt mehr ins Haus – logisch! Aber auch keine Verpackung. Nicht eine einzige! Ob Kaffee, Milch, Käse, Müsli oder Spielsache­n – alles bitte nur noch unverpackt!

Die Familie lebt nach den „Zero-WastePrinz­ip“. Keine Verpackung­en, kein Müll. Die Milch kommt in die Mehrwegfla­sche, der Kaffee ins mitgebrach­te Glas, Käse oder Aufschnitt in die Blechdose. Zum Einkaufen benötigt Hannah in der Regel einige waschbare Stoffbeute­l, eine Jutetasche, zwei Einweckglä­ser, eine Brotzeitdo­se. Scheint mühselig, ist aber, so Hannah Sartin, „nur eine Umstellung der Gewohnheit­en“. Und: Es gibt inzwischen in Deutschlan­d einige verpackung­sfreie Läden (Standorte unter: www.smarticula­r.net).

Viele Dinge gibt es aber gar nicht unverpackt. Zahnpasta steckt in Plastiktub­en, Tomatenmar­k in Blechdosen, Waschmitte­l und Putzmittel in Kartons. Ein Rundgang durch den Supermarkt macht deutlich: Alles verpackt, alles Müll! Die Lösung: Selbermach­en, wiederverw­enden, nach Alternativ­en suchen oder verzichten. Die Stoffwinde­ln werden gewaschen. Immer wieder. Spielsache­n sind handgemach­t, Zahnbürste­n aus Bio-Kunststoff. Servietten aus Stoff. Selbst ins Restaurant nehmen sie die mit.

Wie wird man Anti-MüllFundam­entalist? Bei Hannah begann alles mit der Geburt von Emma vor fünf Jahren. Der dramatisch­e Klimawande­l machte ihr Sorgen, Feinstaub in der Luft, Gift in der Kleidung, Plastik-Teppiche im Meer. Wie sieht die Welt aus, wenn Emma groß ist? Noch düsterer, noch dreckiger, noch giftiger? Und als im Frühjahr 2014 Holly geboren wurde, stand für sie fest: „Ich mach da nicht mehr mit!“Es hat einige Zeit gedauert, das Leben der Familie umzustelle­n. Radikal! Keine Verpackung­en mehr. Kein Plastik. Alles kam auf den Prüfstand: Sind da Schadstoff­e drin oder Gifte?

Sie recherchie­rte, sie hinterfrag­te – und sie wurde immer wieder fündig: Ob Kleidung, Papier, Kosmetik, Zahncreme oder Waschmitte­l: Alles bedenklich oder gar gefährlich.

Auf vieles wird jetzt verzichtet, noch mehr selbst gemacht: Stofflappe­n statt Küchenroll­en, Kernseife (mit Waschsoda) statt Waschmitte­l, Essigessen­z statt Allesreini­ger, Natron statt Zahnpasta.

Papa Carlo rasiert sich mit einem schleifbar­en Edelstahlh­obel, der Deo-Roller ist mit einem Rezept aus Speisestär­ke und Natron gefüllt, die Küchenrest­e kommen in die „Wurmbox“: Ein Holzkiste, gefüllt mit Sägemehl, Kompost-Erde und lebenden Würmern!

Die Kinder, so sagt die Mama, lernen täglich dazu. Aber leiden die nicht unter all dem Verzicht? Was ist, wenn sie größer werden? Kein Handy? Immer noch gebrauchte Klamotten?

Die Mutter sagt: „Die kommen damit wunderbar klar. Weil sie noch klein sind und es gar nicht anders kennen.“Und wenn die Mädchen das nicht mehr wollen? „Dann werden wir das diskutiere­n und ihre Entscheidu­ng akzeptiere­n!“

„Die spinnen doch!“Ja, solche Stimmen gibt es wohl auch. „Nicht alle“, so Hannah schmunzeln­d, „können unsere Begeisteru­ng für diesen Lebensstil nachvollzi­ehen.“Sie stelle aber häufig fest, dass Freunde und Bekannte ihr Konsumverh­alten in kleinen Schritten verändern und überdenken. Und wenn immer mehr so denken und handeln, dann könnte die Welt vielleicht doch noch gerettet werden.

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Hannah Sartin und ihre Familie leben seit drei Jahren nach dem „OhneMüll-Prinzip“. Das ist ihr Beitrag gegen gigantisch­e Müllberge.
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