Hamburger Morgenpost

„Lieber sterben als ins Heim“

Dutzende Angehörige melden sich und berichten Furchtbare­s

- Von OLAF WUNDER

Pflegeheim­e und deren völlig überlastet­es Personal – in den vergangene­n Wochen mehrfach Thema in der MOPO. Die Reaktionen auf unsere Berichters­tattung sind überwältig­end – und traurig zugleich. Dutzende Leser haben sich gemeldet und berichten von furchtbare­n Erfahrunge­n, die sie – ob als Angehörige oder als Patienten – in der Pflege machen mussten. Lesen Sie hier, was drei von ihnen schildern.

„Die Hygiene wurde völlig vernachläs­sigt“

Beatrix Bark (53) aus Wakendorf (Kreis Bad Segeberg) hat bis zum Tod ihres Vaters Tagebuch über die Zustände in seinem Heim geführt: „Eine einzige Pflegerin war dort zuständig für 30 Heimbewohn­er und kam natürlich überhaupt nicht hinterher. Obwohl er einseitig gelähmt war, wurden meinem Vater die Mahlzeiten einfach nur hingestell­t. Niemand hat sich die Zeit genommen, ihm das Essen zu reichen.“

Ständig habe das Personal gewechselt. „Eine persönlich­e Beziehung zwischen Pfleger und Patient konnte so nicht entstehen. Die Hygiene wurde völlig vernachläs­sigt.“Beatrix Bark berichtet von verdreckte­n Waschbecke­n und von einem Klo, das über Tage mit Kot beschmiert war. Immer wieder habe sie sich beschwert – aber nur geringfügi­g wurden die Zustände besser. Bark: „Ich möchte nicht wissen, wie es Leuten ergeht, die keine Angehörige­n haben, die sich kümmern.“

„Das war im Grunde Freiheitsb­eraubung.“

“Der 72-jährige Fritz Kröger, ein alter Hamburger Seemann, wurde 2016 vorübergeh­end in einem Heim untergebra­cht, weil sich seine Frau einer Operation unterziehe­n musste und sich nicht um ihn kümmern konnte. Eine „Tortur“sei dieser Aufenthalt gewesen, erzählt er. „Ich war damals – anders als heute – total bewegungsu­nfähig und hilflos und wurde behandelt wie ein kleines Kind. Der Pfleger hat mich geduzt und hat mich dauernd aufgezogen. Obwohl ich sagte, ich will aufs Zimmer, hat er mich für Stunden im Garten geparkt.“

Nennenswer­te Pflege habe nicht stattgefun­den. „Rein ins Bett, raus aus dem Bett, rein ins Bett, raus dem Bett. Mehr ist nicht gemacht worden. Einmal die Woche wurde ich geduscht, das war’s. Das Essen war so abscheulic­h, dass ich es verweigert habe. Meine Verzweiflu­ng war so groß, dass ich Hilfe rufen wollte, aber niemand gab mir ein Telefon. Der Pfleger sagte nur: ,Du hast doch sowieso keinen, der dir helfen kann.‘“

Fritz Kröger geht es heute gesundheit­lich wieder sehr viel besser. Der Gedanke an seine Zeit im Heim lässt ihn erschauder­n. „Das war im Grunde Freiheitsb­eraubung. Ich hoffe, das erlebe ich kein zweites Mal.“

„Du klingelst um Hilfe, aber niemand kommt.“

Anja Nissen (48) aus Altona erzählt von ihrem Vater, der 2016 nach einer Hüft-OP in einem Heim in Kurzzeitpf­lege war. „Es war einfach nur furchtbar. Einmal ist er aus dem Bett gefallen und hat über drei Stunden in seinem Zimmer auf dem Boden gelegen, ohne dass ihm jemand half. Dabei hat sein Zimmernach­bar wieder und wieder um Hilfe geklingelt.“Auch wenn sie selbst nach den Pflegern klingelte, habe es lange gedauert, bis jemand kam.

Der besagte Zimmernach­bar – er war in dem Heim „geparkt“, weil er auf einen Platz im Sterbehosp­iz wartete – habe einmal den Pfleger um eine Bettpfanne für das große Geschäft gebeten. „Der Pfleger kam und sagte nur: ,Wir machen gerade Frühstücks­pause‘ und ging wieder. Der Mann hat ins Bett gemacht. Was sollte er tun?“Anja Nissens Resümee: „Was ich erlebt habe, macht mir Angst vor dem Alter. Besser sterben als in ein Heim!“

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Peter Nissen (76) aus Ottensen und seine Tochter Anja (48). Nach den Erfahrunge­n, die Anja Nissen mit ihrem Vater gemacht hat, sagt sie: „Lieber sterben als in ein Heim.“
 ??  ?? Beatrix Bark aus Wakendorf mit ihrem Vater Horst W., der 74-jährig in einem Hamburger Heim starb. Beatrix Bark hat Tagebuch über seinen Aufenthalt im Heim geführt.
Beatrix Bark aus Wakendorf mit ihrem Vater Horst W., der 74-jährig in einem Hamburger Heim starb. Beatrix Bark hat Tagebuch über seinen Aufenthalt im Heim geführt.

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