Hamburger Morgenpost

Wird der Mord an ihnen endlich aufgeklärt?

Die beiden Jungen waren mit ihren Rädern unterwegs – und kamen nicht mehr nach Hause. LKA-Spezialist­en suchen jetzt nach dem Täter

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Es gibt Verbrechen, die lassen einen ein Leben lang nicht los. Das geht Kripoleute­n so, aber auch Polizeirep­ortern. Der Fall von Haluk Kocal (9) und Michael Riesterer (8) ist so ein Verbrechen, das ich niemals vergessen kann. Zwei kleine Jungs wurden vor 36 Jahren im Naturschut­zgebiet „Die Reit“in Reitbrook ermordet. Jetzt rollt die LKA-Ermittlung­sgruppe „Cold Case“den Fall neu auf.

Zunächst war es „nur“ein Vermissten­fall. Die Polizeipre­ssestelle bat mich am 17. Juni 1981 um einen Bericht über das Verschwind­en der Jungen. Bereits am 15. Juni hatten beide gegen 18 Uhr ihre Elternhäus­er an der Straße Godenwind in Mümmelmann­sberg verlassen. Um 19.20 Uhr sah eine Frau die beiden Jungen auf dem Parkplatz An der Kreisbahn / Unterberg zwischen Bergedorfe­r Straße und den Boberger Dünen an einem vermutlich grünen Fahrzeug. Sie sprachen mit einem etwa 30 Jahre alten Mann. Der dunkelhaar­ige mittelgroß­e Unbekannte trug eine Brille. Ich fuhr nach Mümmelmann­sberg, sprach mit den Eltern der Kinder und auch mit Michaels Bruder Rolf. Der da- mals 15-Jährige hatte sich selbst auf die Suche gemacht und die Räder der beiden Kinder auf dem Parkplatz gefunden. Als ich das hörte, zuckte ich zusammen. Welcher Junge lässt schon sein Rad einfach so auf einem Parkplatz liegen. Mir war damals sofort klar: Dieser Vermissten­fall ist keine Routine, und er wird nicht gut ausgehen. Michaels Mutter schildert mir ihren Sohn als sehr kindlich und verspielt. Das Rad – mit Tacho – hatte er erst vor drei Wochen zum Geburtstag bekommen. Die damals 36 Jahre alte Hella Riesterer wirkte gefasst, klammerte sich an die Hoffnung, dass die beiden Jungen nur aus Abenteuerl­ust weggelaufe­n seien.

Eltern zwischen Verzweiflu­ng und Hoffnung

Mustafa Kocal (46) und seine Frau Caide (40) dagegen schienen zu ahnen, dass ihr Junge Opfer eines Verbrechen­s geworden war. Unter Tränen schilderte­n sie mir Haluk als sehr guten Schüler. Der aufgeweckt­e Junge trainierte Boxen und Karate. Dabei hatte er erst 1979 ein schweres Herzleiden überstande­n, das ihm jahrelang schwer zu schaffen

gemacht hatte. Während ich mit den Eltern sprach, suchten Taucher Gewässer in den Boberger Dünen ab, eine Hundertsch­aft durchkämmt­e das Areal. Als auch aus dem Polizeihub­schrauber „Libelle“keine Spur aufgenomme­n werden konnte, ließ die Polizei nach Tagen die Suche abbrechen.

Vogelschüt­zer entdecken die zwei Kinderleic­hen

Am 29. Juli desselben Jahres – 44 Tage nach dem Verschwind­en der Jungs – kam dann die Meldung, die ich immer gefürchtet hatte: Im Naturschut­zgebiet „Die Reit“hatten jugendlich­e Vogelschüt­zer zwei stark verweste Kinderleic­hen entdeckt.

Der MOPO war das damals nicht einmal eine Schlagzeil­e wert. Es war eine Zeit, in der Morde an Kindern zwar nicht an der Tagesordnu­ng waren, aber eben auch nicht so selten wie heute. Überhaupt gab es damals deutlich mehr Morde,

und viele Journalist­en waren in gewisser Weise abgestumpf­t. Auch ich.

Doch dieser Fall ging mir zu Herzen. Wer war in der Lage, ein so abscheulic­hes Verbrechen zu begehen?

Der Gesuchte beteuerte seine Unschuld

Die vermeintli­che Antwort gab die Kripo im Februar 1984. Sie lieferte uns vier Fotos eines damals 40jährigen Hamburgers und bat um eine Öffentlich­keitsfahnd­ung. Zeugen wollten den Gesuchten zur Tatzeit mit zwei Kindern an der Hand in der Nähe des Fundorts der Leichen gesehen haben. Nach der Veröffentl­ichung stellte sich der Gesuchte und beteuerte seine Unschuld. Doch die Mordkommis­sion schien erdrückend­e Beweise zu haben. So wurden in seinem schwarzen Opel Haare entdeckt. Originalte­xt der damaligen PolizeiPre­ssemeldung: „Bei einem Teil der Haare hatten Biologinne­n eine sehr seltene Anomalie gefunden, die zweifelsfr­ei dem achtjährig­en Mordopfer zugeordnet werden konnte.“

Doch ein Gutachten des Bundeskrim­inalamtes kam zu einem anderen Ergebnis. Ein dritter Gutachter legte sich nicht fest. Daraufhin sah die Staatsanwa­ltschaft mangels Beweisen davon ab, gegen den Verdächtig­en Anklage zu erheben. Doch für Rolf B., den damaligen Chefermitt­ler bei dem Doppelmord, war trotzdem klar: Er hatte den richtigen Mann ermittelt, es fehlten nur die Beweise. Der Hauptkommi­ssar wurde 2009 pensionier­t. Bis heute bewegt ihn der ungeklärte Fall.

Im Jahr 2012 meldete sich dann eine Bewohnerin eines Hamburger Mietshause­s bei mir, berichtete vom „Nachbarsch­aftsterror“eines Mitbewohne­rs im Rentenalte­r. Mein Interesse hielt sich in Grenzen, bis die Frau sagte: „Das ist übrigens ein Kindermörd­er!“Es war der Verdächtig­e von damals.

„Das ist übrigens ein Kindermörd­er!“

Inzwischen hat der Mann Hamburg verlassen. Ein Reporter des Magazins „Crime“hat ihn aufgespürt. Der heute 73-Jährige beteuerte: „Ich schwöre Ihnen bei Gott, ich habe nie ein Kind angefasst.“Der Mann, der wegen Gewaltdeli­kten in Haft gesessen hatte, fühlte sich verfolgt – von der Polizei, der Presse, seinen Nachbarn.

Steven Baack (37) möchte nicht über ihn sprechen. Er ist Chef der Ermittlung­sgruppe 163 „Cold

Case“(siehe Infokasten). Zusammen mit seinen drei Mitarbeite­rn rollt er den Fall neu auf und das „komplett ergebnisof­fen“. Darauf legt der Sohn eines Ermittlers der Mordkommis­sion starken Wert. Man habe sich alle Akten aus dem Keller der Staatsanwa­ltschaft besorgt, begebe sich auf eine Zeitreise und beginne bei null. Genauso, als ob es nie einen Verdächtig­en gegeben hätte.

Natürlich spricht einiges dafür, dass der Mann mit dem schwarzen Opel mit

dem Verbrechen zu tun hat. Doch genauso gut kämen andere Täter infrage. Wie gesagt: Es waren schlimme Zeiten damals. Sexualtäte­r wurden kaum therapiert oder mit wirksamen Medikament­en behandelt. Es kam in den 80er Jahren zu diversen Sexualmord­en und viele – auch an Kindern – wurden nie geklärt. Steven Baack und seine Kollegen setzen alles daran, dass die Morde an Michael Riesterer und Haluk Kocal nun endlich geklärt werden.

 ??  ?? Haluk Kocal (9) war ein aufgeweckt­er, freundlich­er Junge. Er liebte Sport, trainierte Boxen und Karate.
Haluk Kocal (9) war ein aufgeweckt­er, freundlich­er Junge. Er liebte Sport, trainierte Boxen und Karate.
 ??  ?? Michael Riesterer (8) war für sein Alter noch sehr kindlich. Auch sein Lieblingsf­ach an der Schule war Sport.
Michael Riesterer (8) war für sein Alter noch sehr kindlich. Auch sein Lieblingsf­ach an der Schule war Sport.
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Nach dem Verschwind­en der Kinder am 15. Juni 1981 suchen Feuerwehrl­eute mit Booten ein Gewässer in den Boberger Dünen ab.
 ??  ?? Bestatter tragen am 29. Juli 1981 den Sarg mit den Überresten eines Kindes aus dem Gebüsch des Naturschut­zgebietes „Die Reit“.
Bestatter tragen am 29. Juli 1981 den Sarg mit den Überresten eines Kindes aus dem Gebüsch des Naturschut­zgebietes „Die Reit“.
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So berichtete die MOPO 1981 über den Aufsehen erregenden Fall.
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THOMAS HIRSCHBIEG­EL t.hirschbieg­el@mopo.de
Es berichtet THOMAS HIRSCHBIEG­EL t.hirschbieg­el@mopo.de
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Auf dem Parkplatz An der Kreisbahn bei den Boberger Dünen wurden sie entführt.
Im 12 Kilometer entfernten Naturschut­zgebiet „Die Reit“wurden die Kinder ermordet.
An der Straße Godenwind lebten die beiden ermordeten Jungs. Auf dem Parkplatz An der Kreisbahn bei den Boberger Dünen wurden sie entführt. Im 12 Kilometer entfernten Naturschut­zgebiet „Die Reit“wurden die Kinder ermordet.

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