Hamburger Morgenpost

Sie stoppte den Altenpfleg­er des Grauens

Sylke H. (36) legte sich auf die Lauer und beobachtet­e ihren Kollegen

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Von OLAF WUNDER

Missstände in Pflegeheim­en – seit Wochen berichtet die MOPO immer wieder darüber. Diesmal geht es um einen besonders spektakulä­ren Fall. Denn vor dem Amtsgerich­t Wandsbek muss sich jetzt der 58-jährige Pflegehelf­er Jörg-Olaf G. verantwort­en. Und sollten sich die Vorwürfe als wahr erweisen, dann hat der stiernacki­ge Mann eine demente, wehrlose 84-jährige Frau schwer misshandel­t.

Dass er vor Gericht steht, hat G. einer Kollegin zu verdanken: der 36-jährigen Altenpfleg­erin Sylke H., die sich regelrecht auf die Lauer legte, um ihrem Kollegen die Tat nachzuweis­en. Sie ging auf Socken, schlich sich an ihren Kollegen ran und beobachtet­e, wie er mit den hilflosen Menschen umgeht. Sylke H. war so geistesgeg­enwärtig, die Geräusche, die dabei entstanden, mit ihrem Handy aufzunehme­n. Gestern spielte die Richterin die Tondatei ab: Zu hören war, wie eine alte 84-jährige Frau namens Hildegard T. vor Schmerzen

„Ich verstehe nicht, wie man so feige sein kann.“Sylke H. (36), Pflegehelf­erin

schreit und dabei von einem Mann angebrüllt wird. Auch ein Schlag ist zu hören.

Misshandlu­ng von Schutzbefo­hlenen – das ist der Vorwurf. Ein Verbrechen, das mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft wird. Tatort ist das Pro Vita Seniorenpf­legeheim „Emilienhof“in Tonndorf. Dort arbeitete im Frühjahr 2016 Jörg-Olaf G. Wie Sylke H.

„Die Hämatome, die ich sah, waren handteller­groß.“Sylke H. (36), Pflegehelf­erin

berichtet, hätten plötzlich auffallend viele Bewohner der Dementen-Station, auf der G. tätig war, große Hämatome am Körper gehabt: eine Frau sogar mitten im Gesicht, eine andere an der Brust. „Zwar haben alte Leute, wenn sie Blutverdün­ner nehmen, häufiger mal Blutergüss­e“, räumte H. ein. „Aber die Hämatome, von denen ich hier spreche, waren nicht normal. Die waren handteller­groß.“

Sylke H. wandte sich nach eigenen Angaben an die Pflegedien­stleitung und den Heimleiter – aber niemand habe sie ernst genommen. Auch ihre Kollegen hätten weggeschau­t. „Ich verstehe nicht, wie man so feige sein kann“, sagte Sylke H. vor Gericht.

Also habe sie die Dinge selbst in die Hand genommen. In der Nacht vom 11. auf den 12. April 2016 habe sie mit dem Angeklagte­n zusammen Dienst gemacht, und zwar auf unterschie­dlichen Stationen. Heimlich habe sie den Kollegen dann beobachtet: Gleich zu Dienstbegi­nn habe er sich – statt seiner Arbeit nachzugehe­n – bis um 5.30 Uhr im Therapiezi­mmer schlafen gelegt.

Nach dem Aufwachen habe dann wohl alles sehr schnell gehen müssen. Beim Umlagern von Hildegard T. sei er „brutal“vorgegange­n. Er habe die 84Jährige mit voller Wucht hinund hergeworfe­n. Als er dann die Inkontinen­zunterlage der alten Dame entfernen wollte und Hildegard T. aus Scham die Hände vor ihren Intimberei­ch hielt, habe er gebrüllt: „Nimm die Hände weg, das kann ich gar nicht leiden.“Außerdem habe er sie geschlagen. Olaf G., der seiner Ex-Kollegin im Gerichtssa­al nicht ein einziges Mal in die Augen sah, gab zu seiner Verteidigu­ng an, die alte Dame sei ängstlich und fange regelmäßig grundlos an zu schreien, zu schlagen und zu kneifen. G. räumte ein, mit der Frau „schwungvol­l“umgegangen zu sein. Er bestritt aber, sie geschmisse­n zu haben. Hildegard T. lebt inzwischen in einem anderen Heim. Es soll ihr wieder verhältnis­mäßig gut gehen. Übrigens: Der Angeklagte ist heute bei einer Zeitarbeit­sfirma angestellt und immer noch in der Pflege tätig. Der Prozess wird fortgesetz­t. Das Urteil wird vermutlich am 31. August gefällt.

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Belastungs­zeugin Sylke H. (36): Sie nahm die Schmerzens­schreie des 84-jährigen Opfers mit dem Handy auf.
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Hier soll sich die Tat ereignet haben: das Pro-Vita-Pflegeheim „Emilienhof“in Tonndorf.Der Angeklagte bestreitet die Tat:Pflegehelf­er Jörg-Olaf G. (58).

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