Hamburger Morgenpost

Verarmt, verhöhnt, verprügelt

Rentner in Billstedt von Jugendiche­n angegriffe­n.

- Von ANASTASIA IKSANOV und RÜDIGER GAERTNER

Es gibt Menschen, die nie auf der Sonnenseit­e des Lebens standen. Detlef W. ist so ein Mann. Jetzt hat es einen weiteren Tiefschlag im Leben 73-jährigen Rentners gegeben: Bei einem Spaziergan­g durch den Öjendorfer Park prügelten und traten mehrere Jugendlich­e oder jungen Erwachsene auf ihn ein. Detlef W. erlitt einen Rippenbruc­h, Prellungen am ganzen Körper sowie zwei Platzwunde­n am Kopf. Andere wären wütend und verzweifel­t. Detlef W. nimmt es hin. Sein Hemd ist ihm viel zu groß, die Hose zu weit: Mit 1,70 Metern und 60 Kilo wirkt Detlef W. nahezu zerbrechli­ch. Sein trauriger Blick kann Herzen erweichen. Doch einige Menschen hält das nicht davon ab, diesen armen Mann zu drangsalie­ren. Im Gegenteil: Sie haben auch noch Spaß daran.

„Es ist halt so“, sagt Detlef W. und zuckt leicht mit den Achseln. „Was soll ich tun? Es war schon immer so. Man hat in mir das Opfer gefunden.“Als der 73-Jährige 1982 aus Rostock (damlas noch DDR) nach Billstedt in seine jetzige Wohnung zog, habe man ihn gleich als „schwule Sau“bezeichnet. „Selbst Kinder, neben denen die Väter standen, haben mich ausgelacht und beschimpft“, sagt er.

Zwar wuchs Detlef W. in eher ärmlichen Verhältnis­sen bei seinen Großeltern auf, aber er war ein fleißiges Kind. Er machte seine Schule, lernte erst KfzSchloss­er, studierte dann Schiffsmas­chinenbau und schloss das Studium als Ingenieur ab.

Doch in der DDR wollte Detlef W. nicht bleiben. „Ich konnte es nicht ertragen, dass die Stasi Leute umbringt“, sagt er. Also stellte er einen Ausreisean­trag – der nach 15 Jahren Bangen und Warten genehmigt wurde.

„Natürlich erhoffte ich mir eine bessere Zukunft“, erinnert er sich. Doch die bekam er in Hamburg nicht. „Ich schrieb eine Bewerbung nach der anderen. Als Schlosser, Technische­r Zeichner, Hilfsarbei­ter – ich wurde immer abgelehnt.“Und so blieb Detlef W. in seiner 40-Quadratmet­er-Wohnung in Billstedt wohnen, wurde Sozialhilf­e-,

„Es war schon immer so. Man hat in mir das Opfer gefunden.“

dann Hartz-IV-Empfänger.

Seit er 65 Jahre alt wurde, ist er Rentner, lebt am Limit. 623,11 Euro Rente, 104 Euro Wohngeld. Davon gehen 298,67 Euro Miete ab. Was bleibt, sind 428,44 Euro im Monat. Davon muss er noch die Rundfunkge­bühren zahlen. „Ich hatte schon einen Antrag auf Grundsiche­rung und Befreiung von den Rundfunkge­bühren gestellt, beides wurde abgelehnt.“

Die kleine Wohnung ist spärlich eingericht­et. Ein paar Schränke, ein kleines Bett, Sofa, Tisch. Eine kleine alte Einbauküch­e, in der sich leere Gemüsedose­n finden. Im Wohnzimmer steht ein Fahrrad. „Damit mache ich Ausflüge, dann zelte ich auch mal im Wald.“Offenbar das Highlight im Leben des Rentners. Ein soziales Leben ist für Detlef W., „zur Montagsdem­o in der Innenstadt gegen Hartz IV“zu gehen. Ansonsten lese er, höre Radio und gehe spazieren.

So wie am Sonnabend, den 5. August. „Ich war mit meinem Trolley bei Aldi einkaufen, dann ging ich eine Runde durch den Öjendorfer Park“, sagt er.

Gegen 20.30 Uhr ist Detlef W. auf dem Wanderweg Grotmoorre­dder, nordöstlic­h des Parks. „Ich wurde von fünf oder sechs Jugendlich­en auf Fahrrädern überholt. Dann setzten sie sich auf eine Bank“, sagt er. Als er vorbeigeht, spricht ihn einer aus der Gruppe an. „Er wollte den Weg zu McDonald’s wissen. Ich wollte es gerade erklären, da schlug er mir ins Gesicht. Die anderen umzingelte­n mich.“

Der junge Mann schlägt mehrfach zu, Detlef W. kann sich nicht auf den Beinen halten, fällt zu Boden. „Dann fingen sie an zu treten, ich habe mir die Hände vors Gesicht gehalten, doch sie traten einfach weiter.“Dann verschwind­en die Jugendlich­en – mit einer Flasche Bier aus dem Trolley – und lassen den Rentner blutüberst­römt liegen.

Detlef W. schleppt sich nach Hause, geht erst am nächsten Tag zur Polizei. Warum? „Ach, das ist doch normal bei den Jugendlich­en. Die müssen einen zusammensc­hlagen, damit sie sich brüsten können. Das ist einfach so. Vor 15 Jahren ist mir schon das Gleiche passiert, ich wurde grundlos zusammenge­schlagen. Bestraft wurde niemand“, sagt er. Eine gerechte Strafe für die Täter wünsche er sich dennoch. Und die Polizei sucht dringend Zeugen. Einer der Täter ist zwischen 20 bis 25 Jahre alt und 1,70 bis 1,75 Meter groß . Er ist schlank, trägt dunkelbrau­nes Haar und spricht akzentfrei Deutsch. Wer Hinweise geben kann, wende sich an Tel. 428 65 67 89.

„Natürlich erhoffe ich mir eine bessere Zukunft.“ „Plötzlich schlug mir der junge Mann ins Gesicht.“

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 ??  ?? Ein Bild des Jammers: Die Spuren des erbärmlich­en Angriffs auf Detlef W. sind noch deutlich zu sehen.
Ein Bild des Jammers: Die Spuren des erbärmlich­en Angriffs auf Detlef W. sind noch deutlich zu sehen.
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