Höllischer Drogenboss macht auf Unschuldsengel
Vor einem New Yorker Gericht will Joaquín Guzmán um seine Freilassung bitten
Von SEBASTIAN MOLL
New York –
Joaquín Guzmán, genannt „El Chapo“, tritt heute vor seinen Richter. Dort wird der ehemalige Herrscher des brutalen Sinaloa-Kartells erklären, dass das Gericht in New York keine rechtliche Grundlage für eine Anklage hat und ihn doch bitte freilassen soll.
Dabei hat „El Chapo“Tausende von Menschen auf dem Gewissen, er war dafür berüchtigt, Gegnern und Rivalen die Köpfe abzuhacken oder ihnen abgetrennte Gliedmaßen in den Mund zu stopfen. Guzmán hat über Jahrzehnte den Heroin- und Kokainhandel zwischen Lateinamerika und den USA kontrolliert.
Die Beweislage gegen den 60-Jährigen scheint erdrückend. Die US-Regierung verfügt über ein halbes Dutzend Kronzeugen, darunter zwei ehemalige Vertriebsbeauftragte von „Chapo“in den USA. Nachdem „Chapo“den beiden angedroht hatte, sie umzubringen, wenn sie die Produkte der Konkurrenz verkaufen, stellten sie sich den US Behörden, lieferten Vertriebspläne, Komplizen und sogar eine Tonaufnahme von „Chapo“selbst. Es gilt als sicher, dass der Drogenboss lebenslang in einem US-Hochsicherheitsgefängnis verschwindet. Es sei denn, seinem Anwalt gelingt ein Wunder.
Der Anwalt, der sich des Falles angenommen hat, ist allerdings für Wunder bekannt. Jeffrey Lichtman gelang es vor mehr als zehn Jahren, im Prozess gegen den letzten großen Mafia-Boss von New York, John Gotti Jr., einen Freispruch zu erzielen. Gotti wurde 2008 in New York wegen Schutzgelderpressungen und Mordes in mindestens acht Fällen angeklagt. Doch Lichtman schaffte es, Schlüsselzeugen zu diskreditieren. In zwei folgenden Prozessen kam die Jury zu keinem Ergebnis, die Staatsanwaltschaft gab schließlich auf.
Nun hofft Lichtman, dass ihm mit „Chapo“ein ähnliches Wunder gelingt. „Ich habe Erfahrung mit Klienten, über welche die Gesellschaft bereits ein Urteil gefällt hat“, sagt Lichtman. Der Anwalt wird zunächst einmal behaupten, dass die Auslieferung Mexikos an die USA im Januar dieses Jahres unrechtmäßig Im Juli 2015 flüchtete Guzmán durch diesen Tunnel aus dem Hochsicherheitsknast im mexikanischen Cosalá. Am 8. Januar 2016 wurde er wieder gefasst.
war. Besonders wahrscheinlich ist es allerdings nicht, dass das Gericht den Verfahrensfehler bei der Auslieferung anerkennt.
Doch Lichtman hat noch weitere Argumente in petto. Ganz gewiss werden im Vorfeld und während des Verfahrens, das im April 2018 anberaumt ist, die Haftbedingungen Thema werden. Guzmán sitzt in Isolationshaft, darf seine Zelle nur für eine Stunde pro Tag verlassen. Lichtmans zentrale Beschwerde ist jedoch, dass die Verteidigung erschwert wird. Er darf keinen direkten Kontakt mit seinem Mandanten haben, er muss jedes
Blatt Papier einzeln an eine Scheibe halten. „Chapos“Englischkenntnisse sind begrenzt, ein Dolmetscher wird nicht gewährt.
Am gravierendsten ist für Lichtman jedoch, dass die US-Regierung in Aussicht gestellt hat, dass sein Honorar konfisziert wird. Das gesamte Vermögen Guzmáns, auf bis zu vier Milliarden Dollar geschätzt, ist beschlagnahmt worden. Noch weiß man nicht, wo das Geld ist, aber jeder Dollar, der auftaucht, wird von den USA beansprucht. Ob all das einen Verfassungsbruch darstellt, muss das Verfahren zeigen.