Hamburger Morgenpost

Das Paradies für alte Leute

Wie ein Altenheim mit Spaß für gute Pflege sorgt

-

Von OLAF WUNDER

In jüngster Zeit hat die MOPO viel über Pflegeskan­dale berichtet. Über Heime, in denen das Personal überlastet ist und es die Pfleger gerade noch schaffen, die Bewohner sauber und satt zu bekommen. Oft nicht mal das. Denn in vielen Häusern herrschen katastroph­ale Zustände. Aber nicht in allen! Es gibt auch sehr gute Pflegeheim­e. Das „Stadtdomiz­il“im Schanzenvi­ertel ist eins davon. Dass hier irgendwas ganz anders läuft, merkt der Besucher schon, wenn er das Foyer betritt. Links eine Sitzgruppe, wo alte Damen und Herren Zeitung lesen. Rechts eine Rezeption wie in einem Vier-Sterne-Hotel. Und geradeaus: ein großer Speisesaal mit so vielen Lichtern an der Decke als wäre es ein Sternenhim­mel. Übrigens: Im „Stadtdomiz­il“wird jeden Mittag frisch gekocht. Als die MOPO zu Besuch ist, gibt’s gedünstete­s Fischfilet mit gestovtem Gemüse und Salzkartof­feln und hinterher eine Erdbeercre­me.

Was sofort ins Auge fällt: die Freude in den Gesichtern! Beim Personal wie bei den Bewohnern. Rührend, wie die Betreuer den alten Leuten beim Essen Gesellscha­ft leisten, ihnen helfen, zur Hand gehen. Zwischendu­rch wird viel gelacht und Schabernac­k getrieben. Dem Personal macht die Arbeit offensicht­lich Spaß. Und die Bewohner sind glücklich.

Wer glaubt, dies sei ein Heim für betuchte Rentner, der irrt. Der Heimplatz kostet je nach Pflegegrad zwischen 2950 und 4180 Euro im Monat – das ist mittleres Preissegme­nt. Zahlreiche Bewohner sind Sozialhilf­eempfänger. Das bedeutet: Da, wo die Rente nicht reicht, bezahlt der Staat den Rest.

Ob ein Heim gut ist oder schlecht, ist nicht nur eine Frage von Geld. „Es ist vor allem eine Frage von Wertschätz­ung“, meint Frank Wagner, der 55-jährige Unternehme­r, dem nicht nur das „Stadtdomiz­il“, sondern noch acht weitere Heime in Hamburg gehören. „Ich fördere die Kreativitä­t der Mitarbeite­r“, sagt er. „So werden laufend neue Ideen kreiert, wie wir noch besser werden können. Meine Mitarbeite­r haben Spaß an ihrer Arbeit, und deshalb geht es auch den Bewohnern

gut.“

„Meine Mitarbeite­r haben Spaß an ihrer Arbeit.“Frank Wagner, Unternehme­r

Kenner sagen, dass das „Stadtdomiz­il“nicht nur zu den besten Heimen Hamburgs, sondern ganz Deutschlan­ds gehört. 199 Bewohner leben in dem Haus. Und genauso viele Mitarbeite­r gibt es. Darunter 25 Ergo-, Physio- und Musikthera­peuten, deren Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass die Bewohner nicht apathisch an die Decke starren. Die Therapeute­n kosten Geld, machen sich aber bezahlt: Denn Senioren, die aktiv sind, sind in der täglichen Pflege viel weniger personalin­tensiv.

„Wir wollen, dass für unsere Bewohner jeder Tag zum Erlebnis wird“, sagt Holger Carstensen (58), der Pflegedien­stleiter. Und um das zu erreichen, wird einiges auf die Beine gestellt: Eins der Highlights ist der 1000 Quadratmet­er große Schreberga­rten in einem Kleingarte­nverein am Volkspark, der dem Heim gehört. Jeden Tag halten sich zehn bis zwölf Bewohner dort auf, sonnen sich, jäten Unkraut oder ernten Gemüse.

Für Fußballfan­s werden regelmäßig­e Stadionbes­uche beim FC St. Pauli angeboten. Kulturinte­ressierte werden ins Theater oder in die Oper ausgeführt – die Karten sind noch dazu gesponsert. „Manchmal gehen wir mit Bewohnern auch ,aufn Swutsch‘ über die Reeperbahn und trinken ein Bier“, erzählt Sabine Riediger (62), die Heimleiter­in. „Oder wir fahren für ein, zwei Wochen an die Ostsee in den Urlaub.“

Daneben gibt es Kooperatio­nen mit Schulen: Zum Beispiel ein Theater- und ein Kunstproje­kt, an denen Drittkläss­ler der Schule Arnkielstr­aße (Altona-Nord) und demente Heimbewohn­er teilnehmen. Die Kinder erwerben soziale Kompetenz, und die Dementen finden es toll, mit jungen Menschen zusammen zu sein.

In diesem Zusammenha­ng erzählt Sabine Riediger von einem Bewohner, der anfangs sehr verschloss­en war und alles ablehnte: ein ehemaliger Bauarbeite­r. „Dann brauchten wir in unserem Kunstproje­kt einen, der uns zeigt, wie man Ytong-Steine zersägt. Er war wie ausgewechs­elt, hat plötzlich gemerkt, dass er doch noch gebraucht wird.“Heute ist auch er glücklich, im „Stadtdomiz­il“zu leben.

„Wir wollen, dass jeder Tag zum Erlebnis wird.“H. Carstensen, Pflegedien­stchef

 ??  ?? Zu Besuch in einer Dementen-WG (v. l.): Ergotherap­eutin Mara Köhler (27), Eda Daniel (76), Klaus Bloh (80), Ergotherap­eutin Daniela Kalben (24) und Marianne Joseph (80) Pflegeheim-Bewohnerin Rita ihrem Einzelzimm­er Seidel (78) in
Zu Besuch in einer Dementen-WG (v. l.): Ergotherap­eutin Mara Köhler (27), Eda Daniel (76), Klaus Bloh (80), Ergotherap­eutin Daniela Kalben (24) und Marianne Joseph (80) Pflegeheim-Bewohnerin Rita ihrem Einzelzimm­er Seidel (78) in
 ??  ??
 ??  ?? Michelle Metke (53), Leiterin des Betreuungs­dienstes, mit Marianne Förster (79) und Wolfgang Neuhaus (78) Den Friseursal­on im „Stadtdomiz­il“betreibt Susanne Gehrke (49).
Michelle Metke (53), Leiterin des Betreuungs­dienstes, mit Marianne Förster (79) und Wolfgang Neuhaus (78) Den Friseursal­on im „Stadtdomiz­il“betreibt Susanne Gehrke (49).
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany