Zum Dank wurde sie gefeuert
Pflegerin Sylke Hoß rettete misshandelte Senioren — da warf Hamburger Heim sie raus
Die Heldin aus dem Altenheim
Manche sehen in ihr eine Nestbeschmutzerin, weil sie das eigene Heim anschwärzte. Andere finden, sie hat einen Orden verdient, weil sie den Mund aufmachte und weil sie ihren Mut noch dazu mit dem Job bezahlte. Trotz allem, was sie hinter sich hat, ermuntert die 36jährige Altenpflegerin Sylke Hoß jetzt ihre Berufskollegen, nicht länger wegzusehen. „Wir sind das den Pflegebedürftigen schuldig!“
Vergangenen Donnerstag stand in Wandsbek ein Altenpfleger vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, im Tonndorfer Pflegeheim Emilienhof eine 84-jährige demente Frau nachts misshandelt zu haben. Dass der Mann sich verantworten muss, ist allein Sylke Hoß’ Verdienst. In ihrer Zeugenaussage beschrieb sie, wie sie sich auf die Lauer gelegt und die Angstschreie der Frau mit ihrem Mobiltelefon aufzeichnet hatte. Seit dem MOPO-Bericht am Freitag feiert das Internet sie als Heldin.
Wer ist diese Frau, die so viel Zivilcourage an den Tag legte? Sylke Hoß, Mutter zweier Kinder. Fünf Jahre hat sie im Emilienhof in Tonndorf gearbeitet. „Anfangs war alles gut dort“, erzählt sie. „Wir waren ein gutes Team.“
Dann sei es aber bergab gegangen. Als die Führungskräfte wechselten, verließen auch die fähigsten Pfleger das Haus. Von da an seien Schwerpflegebedürftige stark vernachlässigt worden.
Sie hat drastische Belege für das, was sie sagt: Fotos zeigen Druckgeschwüre an Rücken, Armen und Beinen. Sie zeigen zahnlose Münder, in denen Essensreste vor sich hingammeln, sie zeigen Menschen, die in Urin, Kot und Erbrochenem liegen.
Das Schlimmste aber sind die Bilder der Hämatome – laut Sylke Hoß eine Folge von Misshandlungen, die sich, wie sie sagt, während der Nachtdienste gehäuft hätten.
Sylke Hoß hat sich mit ihren Beschwerden zunächst an ihre Vorgesetzten gewandt, an die Wohnbereichsleitung, an die Pflegedienstleitung, an die Heimleitung. Aber niemand habe sich für ihre Hinweise interessiert, sagt sie. Stattdessen sei sie als Querulantin verhöhnt worden.
Schließlich ergriff sie die Initiative und ging zur Heimaufsicht, was für ihren Arbeitgeber gravierende Folgen hatte: Das Haus musste auf Anweisung der Behörde sämtliche Schwerstpflegebedürftige an andere Einrichtungen abgeben.
Sylke Hoß hätte eigentlich eine Belobigung verdient. Doch das Gegenteil passierte. „Mitarbeiter, die den Mund aufmachen, werden aus dem Betrieb gemobbt“, sagt sie. Und sie weiß, wovon sie spricht. Los ging’s damit, dass sie, die wegen ihrer Kinder nur Nachtdienste übernehmen kann, für Frühund Spätdienste eingeteilt wurde. „Eine Schikane.“Einige Zeit später wurde sie gekündigt, und zwar ohne Begründung. Sylke Hoß ließ das nicht auf sich sitzen, zog vors Arbeitsgericht und gewann.
Einen neuen Job zu finden – gar nicht so leicht. Denn irgendjemand hat dafür gesorgt, dass ihr überall der Ruf vorauseilte, eine schwierige Mitarbeiterin zu sein, eine, die sogar das eigene Unternehmen denunziert. „Genau das hatte man mir angedroht“, sagt Sylke Hoß, „dass man alles daransetzen werde, dass ich in meinem Beruf nie wieder eine Stelle finde.“
Inzwischen ist sie im Pflegeheim Fahrenkrön in Bramfeld tätig – und glücklich. Die Heimleiterin erzählt: „Auch ich wurde vor Frau Hoß gewarnt, aber ich gebe auf Gerüchte nichts. Ich mache mir ein eigenes Bild, und ich muss sagen, ich bin überaus zufrieden mit ihr.“
Das Heim Emilienhof wollte sich gestern nicht selbst zu den Vorwürfen äußern. Stattdessen nahm die Sprecherin des Pflegekonzerns Korian Stellung, zu der das Heim gehört. Zu den Umständen der Entlassung von Sylke Hoß wollte sich Daniela Jachmich aber nicht äußern. Was die „furchtbaren Vorfälle“im Emilienhof angeht, so werde alles für eine umfassende Aufklärung getan. Das Haus sei erst 2016 vom Konzern übernommen worden. Viele Mängel rührten noch aus der Vergangenheit her. Das Haus werde derzeit einer tiefgreifenden Neustrukturierung unterzogen. „Unser Ziel ist, den Bewohnern ein Zuhause zu bieten, in dem sie sich sicher und geborgen fühlen.“